Freie Universität Berlin
FB Philosophie und Geisteswissenschaften
Wintersemester 2004/05
PS 16048 "Zur Leib-Seele-Problematik der frühen Neuzeit"

Dozent: Hanns Peter Neumann
Protokollant: Kurt Dutz.

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Protokoll der Sitzung vom 12.11.2004



Lektüre: Marsilio Ficino: "Über die Liebe oder Platons Gastmahl"

Zu Beginn der Sitzung wurden zunächst einige Arbeitsblätter mit Visualisierungen früh-neuzeitlicher Leib-Seele Vorstellungen ausgegeben sowie ein Textfragment, das anschließend gemeinsam gelesen und diskutiert wurde.
Marsilio Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl. Übersetzt von Karl Paul Hasse. Hg. v. Paul Richard Blum. Hamburg 1984 (Meiner), Oratio Sexta, 9. Kapitel, S. 223 - 227.

Der Inhalt des Fragmentes in Stichworten:

1 Abschnitt:

Die -wohl auf Plotin zurückgehende - strikte Scheidung des Leiblichen und des Seelischen, erfordert etwas zwischen ihnen vermittelndes, den Spiritus oder "Lebensgeist", der beschrieben wird als ein "feiner Dunst" ("körperlose" Form?).

Somit besteht der Mensch aus dreierlei: Seele, Geist und Leib. (Widerspiegelung der Dreifaltigkeit Gottes im Menschen?)

Die Seele ist es, die über die Lebenskräfte verfügt, welche über den Lebensgeist an den Körper übermittelt werden.

Dem Leib fällt das Wahrnehmen der Körperwelt zu. Der Spiritus übermittelt (reflektiert, spiegelt) diese Wahrnehmung in geläuterter Form an die Seele, die vermöge ihrer Einbildungskraft (Phantasie) ein "viel reineres Bild" des Geschauten entwirft und dieses aufbewahrt (erinnert).

Damit wäre dem Erkenntnisdrang der Seele Genüge getan; das einmal Geschaute kann dauerhaft erinnert werden. Allein Auge und Lebensgeist - da ohne Erinnerungsvermögen - bedürfen dauernder physischer Präsenz; sie sind nur empfänglich für das was sich unmittelbar in ihnen "spiegelt" und verlieren mit der Entfernung des unmittelbar Geschauten auch jeden Inhalt. Die Seele muss ihnen in ihrem Verlangen nach ständiger Anwesenheit des Körpers, so die These, zumeist gezwungenermaßen darin folgen.

- Die Seele sehnt sich nach dem Schönen und bezieht die durch den Lebensgeist übermittelte Wahrnehmung auf die angeborene Idee des Wahrgenommenen.

- Der Körper wird als an sich lebloses Instrument der Seele angesehen, das seine Lebenskraft nur der Seele verdankt.

Wie ist es möglich, dass dieses Instrument Zwang auf das ausübt von dem es abhängt?

2.Abschnitt

Die Dürftigkeit des Eros

"Er trägt das Verlangen nach dem Schönen, weil Aphrodite von höchster Schönheit ist", d.h.: er entfacht in den Seelen das Verlangen nach der höchsten göttlichen Schönheit, weil er der Sphäre jener Geister entstammt welche Gott nahestehen und deshalb von seiner Herrlichkeit erleuchtet werden und uns zu denselben Lichtstrahlen emporheben.
"Eros ist dürr, hager und unansehnlich."
Diese Aussagen der Diotima werden so gedeutet, dass ihm an den Grundlagen des Lebendigen und Beseelten: Wärme und Feuchtigkeit mangelt.

Aus dieser Deutung wird in der Folge die Vorstellung der Liebe als einer Krankheit entwickelt, deren Folgen (zunehmender Verfall des Liebenden durch Austrocknung und Entweichen des Lebensgeistes in Richtung auf das Geliebte) nur durch Gegenliebe in Schranken gehalten werden können.

Als drastisches Beispiel wird der epikureische Philosoph Lukrez angeführt, der zunächst "in Liebeswahn und dann in Raserei verfallen" und am Ende gar Hand an sich gelegt habe. Solche Schande, so heißt es, stoße jenen zu, die "mit der Liebe Mißbrauch treiben und das zum Anschauen Bestimmte auf die sinnliche Begierde des Tastsinnes übertragen", denn leichter ertrüge man "das Verlangen des Anschauens allein, als das Gelüste des Sehens und Berührens zugleich".

Umgekehrt, so heißt es abschließend, bringe die Liebe nicht nur die Menschen in die zuvor beschriebenen Zustände, sondern auch die von Natur her so beschaffenen Menschen (Melancholiker und Choleriker) neigten zur Liebe. (Melancholie -> "Schwarzgalligkeit")

Im Anschluss an die Lektüre des Fragmentes referierten Daniel Rojahn und Julia Guth über die Kapitel 10-19 der Schrift Ficinos.

Zusammenfassung des Referates im Wortlaut des Skripts:

  • Eros ist für Diotima ein Symbol für das menschliche Streben nach dem Vollkommenen. Er steht für das Verlangen nach der Entstehung des Schönen.
  • Ausgehend vom Wesen des Eros, beschreibt Diotima den Begriff der Liebe. Sie wird bestimmt als eine Geburt des Schönen in geistiger und körperlicher Hinsicht.
  • Das Ziel des Menschen ist seine Natur zu reproduzieren, was nur im Schönen möglich ist. Die Geburt des Schönen ist eine göttliche Sache, die dem sterblichen Leben etwas Unsterbliches verleiht.
  • Das Ziel der Liebe ist die Wiedergeburt der eigenen Seele in dem Anderen durch die Idee des Schönen.
  • Abschließend wurde auf einige Passagen zuvor referierten 10. Kapitels noch etwas näher eingegangen (Seiten 241 sowie 243-245) und folgende Fragen - die allerdings keine abschließende Beantwortung mehr finden konnten - aufgeworfen:
  • Was bedeutet Philosophie hier?
  • Ist die Seele (zwischen Zeit und Ewigkeit) unsterblich oder nicht?
  • Wie wird hier unterschieden zwischen Begriff und Idee?
  • Was man noch fragen könnte:
  • Wird der Kommentar der klassischen Vorlage gerecht?
  • Wissenschaftliche Abhandlung oder bloße Apologie der christlichen Lehre?
  • Sind die angeführten Begründungen plausibel? (Zumindest innerhalb des Kontextes)
  • Ein Ideologisches Pamphlet? (evtl. unter besonderer Berücksichtigung des "Seitenhiebs" gegen den Epikuraeer Lukrez)


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