Freie Universität Berlin
FB Philosophie und Geisteswissenschaften
 Wintersemester 2004/05
PS 16048 "Zur Leib-Seele-Problematik der frühen Neuzeit"

Dozent: Hanns Peter Neumann
Protokollant: Kurt Dutz.


 

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Sitzung vom 14.01.2005



Lektüre: Pietro Pomponazzi: "Abhandlung über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele"

Da die Sitzung der vorhergehenden Woche nicht protokolliert wurde, hier zunächst eine kurze Darstellung des Pietro Pomponazzi von Ernst Bloch.

"Wir haben nun hier einen Philosophen, der den Aristoteles erneuerte, und zwar in einer bestimmten Interpretation, die man als die Wiedergeburt des Originals bezeichnete, in der Interpretation des Alexander von Aphrodisias: Pomponazzi, bekannter als Pomponatius, (1462 - 1525), ein Mann, der, abgesehen von Mirandola, mehr als die anderen (Anmerkung: Gemeint sind hier Marsilio Ficino (1433- 1499), Giovanni Pico de Mirandola (1463 - 1494), Telesio (1508 - 1588) und Patrizzi (1529 - 1597)) ins gebildete Bewusstsein getreten ist wegen seines Kampfes gegen die Unsterblichkeit der Seele. Hauptanliegen seines Kampfes gegen die Kirche von Aristoteles und seinem Exegeten Alexander von Aphrodisias her war die Leugnung der individuellen Fortdauer, also auch der Schicksale der menschlichen Seele in Hölle, Fegefeuer oder Himmel. Das war ein ungeheurer antiideologischer, gegen die Ablaßgewalt der Kirche gerichteter Stoß, denn die Macht der Kirche bestand in ihrer angemaßten Schlüsselgewalt über Himmel und Hölle. Der Schlüssel ist ja im Wappen des Statthalters Christi enthalten. Die Gewalt der Kirche bestand wesentlich in der Beherrschung der unwahrscheinlichen transzendenten Furcht, die die Menschen bis ins achtzehnte Jahrhundert quälte und kohlschwarze Schatten auf ihr Leben warf. Man fürchtete nicht den ersten Tod, sondern den zweiten, die Hölle. Nach Aristoteles ist die Seele die Entelechie (Anmerkung: zielstrebige Kraft eines Lebewesens, sich seinen Anlagen gemäß zu entwickeln) des Leibes, und mit dem Vergehen des Leibes ist die Entelechie erledigt. Der allgemeine Menschengeist lebt bei Aristoteles allerdings fort, aber nicht individuell, sondern vielleicht als unser bester Teil. Doch individuelle Schicksale hören auf, wir zahlen nicht für unser individuelles Vergehen und werden nicht belohnt für unsere individuellen Verdienste wie vor einem irdischen Gericht." (Ernst Bloch. Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1972. S.19)
Zusammenfassung des bisher Erarbeiteten:

Pomponazzi geht, gestützt auf Aristoteles, von der Sterblichkeit der menschlichen Seele aus.

Die Seele müsste, um unsterblich zu sein, "für sich" also unabhängig vom Körper existieren (können).

Damit wendet sich Pomponazzi auch gegen Averroes, unter dessen Einfluss er zunächst gestanden hatte und auch gegen die von Thomas v. Aquin vertretene Ansicht, dass die menschliche Seele von Gott (bei der Geburt) unmittelbar erschaffen werde. Eine solche Annahme ist nach Pomponazzi nicht (philosophisch) beweisbar. Ficcino hingegen hält eher an Aquins Anschauung fest.

Wesentliche Aspekte bei Pomponazzi:

  • Bestimmung des Körpers auch als eines zugrundeliegenden Subjektes (und damit eines notwendigen Substrats der Seele), statt eines bloßen Gegenstandes oder Objektes (z.B. als Instrument der Seele).
  • Drei Erkenntnisweisen:
  • 1. Gänzlich von Körper unabhängige Erkenntnis der "Intelligenzen", unbewegter Beweger die die Himmelskörper bewegen ohne eine Rückwirkung zu erfahren (Hier drängt sich dem Verfasser die Frage auf, was SO (ohne Einwirkung von außen) denn überhaupt erkannt werden kann)
  • 2. Die Erkenntnis vermittels der Wahrnehmungsseele. Diese benötigt den Körper als Grundlage und Gegenstand (Objekt / Instrument) und übt ihre Tätigkeit mittels der Fünf Sinne aus.
  • 3. Die Erkenntnisseele bleibt an die von der Wahrnehmungsseele gebildeten Vorstellungen zur als Stimuli gebunden, kann aber davon abheben.
  • Wenn die Erkenntnisseele unsterblich sein soll, dann muss sie vom Körper abtrennbar sein, in ihrer Tätigkeit bleibt sie aber (qua Angewiesenheit auf die von der Wahrnehmungsseele gebildeten Vorstellungen) stofflich gebunden.
  • Pompanozzi lehnt auch die Vorstellung, die Seele werde nach dem Tode des Menschen zu einer Intelligenz transformiert ab Da jeder entität nur ein bestimmendes (wesentliches) Moment zukommen kann, ist ein "Hierarchiewechsel" für ihn ausgeschlossen. Eine solche Sichtweise bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Ethik: Ohne begründbare Furcht vor jenseitigen Strafen muss die Motivation für gutes Handeln anderswo vermutet werden ("Die Tugend ist ihr eigener Lohn").
  • Aus der Teilhabe am göttlichen Intellektus, darf nicht auf die Unsterblichkeit geschlossen werden.
  • Pomponazzi verwahrt sich gegen die Vermischung von Mystik und Philosophie
  • II. Lektüre (S.91- 93)

    Besonderes Augenmerk wurde in der folgenden Diskussion dem nachstehend zitierten Kommentar zur Aussage des Aristoteles "Niemals erkennt die Seele ohne Vorstellung." geschenkt.

    "Wenn er [der Intellekt] daher auf diese Weise des Körpers als eines Gegenstandes bedarf, kann er das Allgemeine auch nicht schlechthin erkennen, sondern betrachtet das Allgemeine stets im Einzelnen, wie jeder in sich selbst erfahren kann. Denn in jeder Erkenntnis, wie abgehoben sie auch immer sein mag, bildet sich der menschliche Intellekt ein körperliches Bild, weswegen er nicht zuerst und geradewegs erkennt, vielmehr zusammengesetzt und Mannigfaltiges durchläuft, weshalb sein Erkennen im Zusammenhang mit der Zeit erfolgt. Das völlige Gegenteil trifft auf die Intelligenzen zu, die vom Stoff gänzlich frei sind. Also ist eben der Intellekt, der so eine Mittelstellung zwischen dem Stofflichen und dem Stofflosen einnimmt, weder gänzlich hier und jetzt noch gänzlich unabhängig vom Hier und Jetzt. Deswegen ist seine Tätigkeit weder gänzlich allgemein, noch ist sie gänzlich besondert, noch unterliegt sie gänzlich der Zeit, noch ist sie gänzlich frei von der Zeit." (Pietro Pomponazzi: "Abhandlung über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele". Lateinisch - Deutsch. Felix Meiner Verlag Hamburg. S.93)
    => Nur das Besondere, der unmittelbar geschaute Gegenstand, nicht aber das Allgemeine kann sinnlich erkannt werden. Das Allgemeine wird aber beim sinnlichen Wahrnehmen des Besonderen freilich immer "mitgesehen": in dieser Tomate "die Tomate", in diesem Menschen "der Mensch" schlechthin.

    Frage:Benötigt der einmal gebildete Allgemeinbegriff kein "Abbild" mehr?

    Fast überflüssig scheint es zu erwähnen, dass diese Thesen mit dem kirchlichen Dogma praktisch unvereinbar waren. Um sie dennoch öffentlich vortragen zu können bedurfte es - neben einem vergleichsweise toleranten Papst (Leo X. "Freund der Gelehrten") noch eines besonderen Kunstgriffs. Hierzu ein weiteres Zitat von Ernst Bloch:

    "Pomponatius sah sich [...] veranlasst, die Schutzschicht einer sogenannten doppelten Wahrheit im Interesse seiner Mortalitätslehre zu begründen. Er brachte auf, daß so wenig wie ein haifisch und ein Löwe sich begegnen können, weil der eine im Ozean und der andere in der Wüste lebt, so wenig sich Philosophen und Theologen begegnen können. Beide haben völlig verschiedene Gegenstände, das Reich der Natur und das Reich der Gnade, das Reich des Diesseits und das Reich des Jenseits. deshalb kann es sein, daß etwas in der Theologie wahr ist, was in der Philosophie falsch, und daß etwas in der Philosophie wahr ist, was in der Theologie falsch ist. Damit war ein Freibrief vor dem geistlichen Gericht gegeben, so daß jeder Philosoph, jeder Forscher jederzeit ohne Gewissensbiß widerrufen konnte, wenn er vor Mönchen stand. Sehr lange hat sich die Kirche durch diese Erklärung freilich nicht dumm machen lassen, denn sonst wären ja alle Angeklagten der Inquisition entschlüpft." (Ernst Bloch. Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1972. S.22)
     
    III. Einführung zu Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim).

    1493 oder 94 geboren in Einsiedeln (Schweiz) als Sohn eines Arztes und starb 1541 "in Salzburg nach einem Wanderleben als Arzt, auch als Quacksalber, als großer Empiriker und gleichzeitig großer Spekulant; die längste Zeit lebte er in Basel." (Ernst Bloch. Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1972. S.59)

    Paracelsus verfasste seine Schriften, ein Novum in der damaligen Welt der Gelehrten, in deutscher Sprache und übersetzte sie zum Teil nachträglich ins Lateinische; die meisten dieser Schriften erschienen erst posthum.

    Ein weiteres Novum war die Tatsache, dass er sich nicht, wie damals allgemein üblich, als Arzt auf die Diagnose beschränkte, die Therapie aber einem Bader überließ, sondern dass er auch selbst praktizierte.

    Er schrieb in seinen wenigen Veröffentlichungen über Wundchirurgie, Kuren und Bäder, die Behandlung der Syphillis, medizinische Alchemie und die Tria Prima (Sulphur (Schwefel), Quecksilber, Salz) und in den Ansätzen über den Stoffwechsel als einen biochemischen Vorgang.

    So kam es dass er nach seinem Ableben erst größere Popularität gewann, belegt u. a. durch das Aufkommen des sog. "Paracelsismus" ab etwa 1560. Er galt als "Luther der Medizin". Die Bemühungen, diesen Vergleich zu stärken, gingen soweit, dass ein gewisser Leonard Thurnheiser die Geburtsdaten von Luther und Paracelsus gleichsetzte (Prinzip der Konstellation).

    Einige erhaltene Schriften sind "Astronomica magna", "De natura rerum", "Opus Paragranum", "Opus Paramirum".
     


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