PS 32640 Einführung in die Soziologie der USA, Teil I: Makrosoziologie
Dozentin: Katja Mertin - WS 2002/03
Referent: Kurt Dutz

Soziale Schichtung I: Grundsätzliches

 

1. Gesellschaftssysteme (Übersicht)

1.1 Sklaverei

(Antike - Kolonien - Teile der USA bis 1861)
  • Extreme Ungleichheit
  • Unterschiedliche Formen: im Extremfall besitzen Sklaven nicht einmal die elementarsten Persönlichkeitsrechte, in anderen Fällen haben sie zwar Aufstiegschancen, bleiben aber Besitz eines Anderen.
  • 1.2 Kasten

    (Indien)
  • Qua Geburt bestimmte Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, die nicht aufgegeben werden kann
  • Mobilität nur innerhalb der Schichten (horizontal)
  • Originelle Variante: Natchez: die Angehörigen der drei höheren Stände dürfen nur Verbindungen mit Angehörigen der untersten Schicht ("Stinker") eingehen. Die Nachkommenschaft aus diesen Verbindungen steigt im Rang jeweils eine Stufe ab.
  • 1.3 Stände

    (Europa bis in die frühe Neuzeit)
  • ähnlich dem Kastensystem insofern, als die Standeszugehörigkeit qua Geburt festgelegt ist. Allerdings ist ein Wechsel zwischen den Schichten z.B. infolge von Eheschließungen oder Adelung aufgrund besonderer Verdienste (oder Vermögens?) möglich
  • Gemeinsam ist den bisher genannten Systemen, dass die Herkunft für den gesellschaftlichen Status von entscheidender Bedeutung ist.

    1.4 Klassen

  • Fast alle modernen Gesellschaften westlicher Prägung, insbes. natürlich die USA.
  • In den USA stark an ökonomischen Verhältnissen orientiert.
  • Gruppen mit vergleichbarer wirtschaftlicher Position innerhalb der Gesellschaft bilden die einzelnen Klassen.
  • Klassenzugehörigkeit hat beträchtlichen Einfluss auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten.
  • "Flüssig", keine scharfe Abgrenzung.
  • Zumindest theoretisch kann jeder in jede Klasse wechseln, jeden gesellschaftlichen Status erreichen.
  • 2. Die Klassen der US Gesellschaft

    2.1 Oberschicht (upper class)

    Der O. gehören nur ca. 1% der Bevölkerung an. Ungefähr 250 Familien besitzen je über 100 Millionen Dollar Vermögen. Dieser Reichtum verleiht Macht, insofern als er seine Wurzeln in der Kontrolle über die industriellen und finanziellen Ressourcen hat und den Zugriff auf die wichtigsten öffentlichen Positionen ermöglicht.

    2.2 Mittelschicht (middle class)

    Ihr gehört ein grosser Teil der amerikanischen Bevölkerung an, der den unterschiedlichsten Tätigkeiten nachgeht. Man kann sie in drei große Untergruppen gliedern:

    2.2.1 old middle class

    Inhaber kleinerer Geschäfte, kleine Farmer, ihr Anteil an der Bevölkerung hat im Laufe des letzten Jhd. kontinuierlich abgenommen und liegt gegenwärtig bei relativ stabilen 6% der werktätigen Bevölkerung.

    Die Mehrzahl kleinerer Unternehmungen scheitert innerhalb der ersten zwei Jahre nach ihrer Gründung, nur rund 20% sind im fünften Jahr noch im Geschäft.

    Dass die Zahl, früheren Befürchtungen zum Trotz nicht noch stärker abgenommen hat, erklärt sich aus dem Umstand, dass es nach wie vor eine große Zahl von Menschen gibt, die die Selbstständigkeit suchen. Wer vom Markt verschwindet, wird in der Regel schnell durch einen anderen, der seine Chance sucht, ersetzt.

    2.2.2 upper middle class

  • Ihr gehören im wesentlichen hochbezahlte Manager, Wissenschaftler an.
  • Der Anteil dieser Schicht an der Gesamtbevölkerung liegt bei ca. 20%.
  • Die meisten Angehörigen verfügen über Hochschulabschlüsse
  • Weisse protestantischer oder jüdischer Herkunft sind überproportional vertreten,
  • Inzwischen gibt es aber auch ein kleines Segment schwarzer Bürger, die dieser Klasse angehören.
  • 2.2.3 lower middle class

  • Heterogen; umfasst so verschiedene Berufsgruppen wie Büropersonal, Handelsgehilfen, Lehrer, Krankenschwestern etc.
  • Identifizieren sich eher mit bessergestellten Angehörigen der oberen Mittelklasse, obwohl ihre Einkünfte mitunter unter denen gutbezahlter Arbeiter liegen.
  • 2.3 Arbeiter"klasse" (working class)

    Der Name sagt eigentlich schon alles über die berufliche Tätigkeit, allerdings kann auch hier, analog zur middle class, eine Einteilung vorgenommen werden und zwar dem Grade der Qualifikation nach. Hochqualifizierte Arbeiter verdienen, wie bereits erwähnt oft mehr als Angehörige der unteren Mittelschicht, bilden die "Aristokraten der Arbeit"

    Die untere Schicht setzt sich zusammen aus An- bzw. Ungelernten (Hilfsarbeitern), hier finden sich auch die sog. Mac-Jobber. Diese Jobs sind häufig schlecht bezahlt und unsicher. Soziologen sprechen hier von der Gruppe der "arbeitenden Armen"

    2.4 under class

    (Langzeit)Arbeitslose und Gelegenheitsarbeiter, vorwiegend in Großstädten lebend

    Ungeachtet der Tatsache, dass sich in den letzten drei/vier Jahrzehnten eine schwarze Mittelschicht herausgebildet hat, sind viele Afro-Amerikaner und andere ethnische Minderheiten nach wie vor dieser Schicht zuzurechnen.

    Gründe für das Anhalten dieser Situation sind allerdings nach Ansicht von Wilson (1978) heutzutage weniger in aktiver Diskriminierung, als vielmehr im Rückgang von Industriejobs zu suchen (Rationalisierung i.d. Autoindustrie etc.)

    Dem gegenüber vertreten manche Konservative die Ansicht, dass zu hohe Sozialleistungen, die Initiative lähmen würden (Wo hab ich das bloss schon mal gehört?) (Murray 1984)

    Der Anteil alleinerziehender Mütter ist überproportional hoch, was Wilson auf den Mangel an heiratsfähigen Männern, also solchen, die ein gesichertes Einkommen haben, zurück.

    Wilson meint ferner, dass die Unterklasse weitgehend isoliert von der restlichen amerikanischen Gesellschaft lebe.

    3. Faktoren der Klassenzugehörigkeit

    Faktoren beeinflussen sich gegenseitig

    3.1 Einkommen

  • Lohn/ Gehalt, Erlöse aus Mieten oder Pacht, Erlöse aus Geldanlagen
  • Die Realeinkommen sind während des letzten Jhd. gestiegen, allerdings sind die Einkommen in den sog. blue-collar jobs in den letzten 20 Jahren gesunken.
  • insgesamt ist die Einkommenslage der Bevölkerungsmehrheit besser als je zuvor, vor allem infolge wachsender Produktivität als Folge der technologischen Entwicklung
  • ABER: Die Einkommen sind nach wie vor ungleich verteilt, wobei die Ungleichheit in den letzten zwei Jahrzehnten "dramatisch" zugenommen hat. So sank das Einkommen der unteren 80% der Bevölkerung zwischen 1977 und 1992 um ca. 5%, während die Einkünfte der reichsten 5% bei sinkender Steuerlast um ca 9% brutto zunahmen und die Spitzenverdiener (1%) ihr Einkommen annähernd verdoppeln konnten.
  • Verteilung: 5%B : 22%E; / 20%B : 50%E; / 55%B : 24%E; / 20%B : 3,6%E

    3.2 Wohlstand (Vermögen / Besitz)

    Während die Mehrzahl der Menschen ihr Einkommen durch Arbeit erzielt, beziehen die Wohlhabenderen es häufig vornehmlich durch Investitionserlöse (häufig aus ererbtem Vermögen). Manche Wissenschaftler neigen zu der Ansicht, das Vermögen, nicht das Einkommen sei der entscheidende Indikator für Klassenzugehörigkeit.

    Verlässliche Angaben über die Vermögensverteilung sind nur schwer zu machen. Sicher ist aber, dass sich ein Großteil der Vermögen in der Hand einiger weniger Eigentümer befindet.

    Nur 1% der Bevölkerung besitzt rund 20% des Gesamtvermögens, 10% der Bevölkerung ist im Besitz von 90% der Anlagevermögen von denen sich 40% im in den Händen von nur ca. 05% (ca. 400.000 Haushalte) der Bevölkerung befinden.

    Ethnische Unterschiede sind bei der Vermögensverteilung noch größer als bei Löhnen/Gehältern (Oliver/Shapiro 95). "Typische" schwarze Familien besitzen nur ca. 11% des Vermögens ihrer weißen Äquivalente.

    Rund 25% der weißen, 61% der schwarzen und 54% der hispanischen Haushalte besitzen gar kein Vermögen oder sind verschuldet (Umfrage unter 12.000 Haushalten). - "it takes money to make money"

    Schwarze erhalten oft keine oder überteuerte Hypotheken, was den Hauserwerb erschwert bzw. verunmöglicht. Gerade dieser aber gilt als erster Schritt zur Vermögensbildung.

    3.3 Bildung

  • ist ein wichtiger Faktor für Einordnung / Zugang in soziale Schicht, für spätere berufliche Möglichkeiten, Einkommen und Wohlstand
  • - andererseits ist die Klassenzugehörigkeit aber auch ein wesentlicher Faktor für das Maß an Bildung, das der Einzelne erwerben kann
  • auch hier ist die ethnische Zugehörigkeit ein nicht unerheblicher Faktor: 82% der Weißen aber nur 75% der Schwarzen erwerben einen high-school Abschluss
  • Das Bildungsniveau ist insgesamt, bedingt durch die rasante Entwicklung der HiTech Industrien und deren Bedarf an höher qualifizierten Arbeitskräften, signifikant gestiegen.
  • 3.4 Berufliche Qualifikation

  • stark abhängig vom Grad der Bildung,
  • höchstes Prestige: Juristen, Wissenschaftler, Physiker, Zahnärzte
  • in der Mitte: Versicherungsangestellte, Programmierer, Krankenschwestern
  • unteres Ende: Kellner(innen), Strassenkehrer, Schuhputzer (der hat aber auch, glaubt man der Legende, die besten Aufstiegschancen)
  • 3.5 Geschlecht

    Wie fast überall auf der Welt sind auch in den USA die Männer im Besitz fast aller Schlüsselpositionen. Das Thema soll aber hier nicht weiter diskutiert werden, da  ein eigener Block hierfür vorgesehen ist.

    3.6 Ethnische Zugehörigkeit

    Die allgemein schlechtere wirtschaftliche Ausgangslage, Mangel an Bildungsmöglichkeiten, Sprachprobleme (Hispanics/Chicanos), und natürlich nach wie vor teilweise unverblümter Rassismus erschweren ethnischen Minderheiten den Zugang zu höheren Schichten (s.a. under class / Bildung)

    4. Mobilität

  • Horizontal/ geographisch vergleichsweise hoch: In den 50er Jahren des 20.Jhd. durchgängig über 20%.
  • 1950 Höchster Wanderungsgewinn: ca. 37,8% , Wanderungsverlust: ca. 15%
  • Zum Vergleich Deutschland 1956: Höchster Wanderungsgewinn 2%, Wanderungsverlust 1,2% (Siehe Dahrendorf Seite 70ff - 73).
  • Diese vergleichsweise hohe Flüssigkeit bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Individuen.
  • Subjektiv wird oft schon der Orts- oder Arbeitsplatzwechsel als Verbesserung des sozialen Status empfunden.
  • Mit der Schichtenzugehörigkeit verbunden ist i.dR., die Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen, Organisationen, auch bestimmten Kirchen(!).
  • Zum Verständnis der unterschiedlichen Bedeutung von class / Klasse: Dahrendorf Seite 50ff.
  • class (USA): Gruppe sozial gleichgestellter / individuelle Handlungen
  • Klasse (Europa): Gruppe sozial Gleichgestellter / solidarische Handlungen
  • 5. Literatur:

  • Ralf Dahrendorf. Die angewandte Aufklärung. Fischer. Frankfurt a. M. und Hamburg. Januar 1968
  • Peter Farb. Die Indianer (Originaltitel: "Man's Rise To Civilisation"). Fritz Molden. Wien-München-Zürich 1971
  • Anthony Giddens und Mitchell Duneie. Introduction to Sociology, 3rd Edition. Ney York 2000. Kapitel 7. S.145-164

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