Freie Universität Berlin
FB Philosophie und Geisteswissenschaften
SoSe 2004
Script: Referat zum HS "Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung" (16079 HS)

Dozentin Simone Mahrenholz
Referenten: Philipp Albrecht, Kurt Dutz.
21. 04. 2004


 


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Die Welt als Wille und Vorstellung. Einführung

Zu den Voraussetzungen das vorliegende Werk zu verstehen, zählt Schopenhauer sowohl die Kenntnis seiner Dissertation "Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde" als auch die der Werke Kants. Da diese Kenntnisse hier nicht ohne Weiteres erwartet werden können, soll im Folgenden versucht werden, einige wesentliche Bezüge (und Differenzen) zu Kants Werk herauszuarbeiten sowie die Dissertation Schopenhauers in wenigstens groben Zügen darzustellen.

1. Zentrale Begriffe und ihre besondere Bedeutung

Schopenhauer ist was den erkenntnistheoretischen Teil seiner Arbeit angeht stark von Kant beeinflusst und übernimmt teilweise dessen Begriffe. Er wirft Kant allerdings auch vor, diese Begriffe zum Teil unscharf und widersprüchlich verwandt zu haben. Darüberhinaus haben einige Begriffe bei Schopenhauer eine vom alltäglichen Gebrauch stark abweichende und eng umgrenzte Bedeutung.

"Die Welt ist meine

1.1 Vorstellung"

(§ 1) Kants Hauptverdienst: die Erkenntnis der a-priorität von Zeit, Raum, Kausalität als Bedingung von Erkenntnis überhaupt (Kritik der reinen Vernunft).

Die Kantschen Formen des Erkennens: Zeit, Raum, Kausalität, setzen die Vorstellung allerdings bereits voraus und damit, so Schopenhauer, das a-priorische Zerfallen in Subjekt (Erkennendes) und Objekt (Erkanntes).

Alles Vorgestellte ist Objekt und alles Objekt (D.h. Die Welt soweit sie Vorstellung ist.) unterliegt den Gestaltungen des Satzes vom Grunde. Schopenhauers Kritik an Kant: die Vernachlässigung des Satzes vom Grunde, welcher der gemeinschaftliche Ausdruck dieser Formen ist.

"Dasjenige, was alles erkennt und von keinem erkannt wird ist das

1.2 Subjekt"

(§ 2) ("Träger der Welt")
"[...}liegt auch nicht in [...] Raum und Zeit, denn diese [...] setzen schon das Subjekt voraus" (PhV I. S.129)
"Vielheit aber ist nur [...] mittelst Zeit und Raum: also kommt dem Subjekt der Erkenntnis weder Vielheit noch [...] Einheit zu." (PhV I. [Spierling 1986] S.130)
Das "Auseinanderfallen" von Subjekt und Objekt ist bei Schopenhauer ein Auseinandertreten in der Einheit, wobei DAS "Subjekt" sich ungeteilt(!) in der mannigfaltiger Objektivierung aufhebt.

Verkürzt gesagt: es gibt (im Plural) Objekte, aber nicht Subjekte . Alles was erkannt (vorgestellt) werden kann, muss notwendig Objekt (unterscheidbar) sein. D.h.: DAS Subjekt ist, wenngleich es Teil hat an Individualität, nicht Individuum.

"es giebt daher nicht eine Vielheit von Subjekten, obgleich es viele Individuuen gibt" (PhV I. S. 130)
Das Subjekt ist also so etwas, wie die objektiv geteilt(erscheinend)e Einheit des Erkennen(können)s. DAS Subjekt bleibt mit (und in) ALLEN Objekten vereint und ist zugleich mit sich un-eins, weil es ihm nicht möglich ist, die "objektiv" geschiedene Erkenntnis "subjektiv" zu vereinigen.
"Das Subjekt erkennt sich nur als ein Wollendes, nicht als ein Erkennendes. Denn das vorstellende Ich, das Subjekt des Erkennens kann nie selbst wieder erkannt, selbst wieder sein Objekt werden; weil es das nothwendige Korrelat und daher die Bedingung alles Erkennens ist. Daher ist das Erkennen des Erkennens unmöglich." (PhV I. S.464)

1.3 Kein Kausalverhältnis zwischen Subjekt und Objekt.

(§ 5)
Man hüte sich aber vor dem großen Mißverständniß, daß, weil die Anschauung durch die Erkenntniß der Kausalität vermittelt ist, deswegen zwischen Objekt und Subjekt das Verhältniß von Ursache und Wirkung bestehe; da vielmehr dasselbe immer nur zwischen unmittelbarem und vermitteltem Objekt, also immer nur zwischen Objekten Statt findet.

Exkurs

1.4 Vernunft und Verstand

(§ 3)
Kant: "Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann. Denn er ist [..] ein Vermögen zu denken." (KrV A69/B94. Bei Schopenhauer angegeben im Anhang von WWV S.20f.)


Schopenhauers Definition zufolge ist die einzige Funktion des Verstandes das Erkennen von Kausalität. Er ist das"Korrelat" der Kausalität. Verstand ist eine allem animalischen Leben gemeinsame Erkenntniskraft.

Kausalität bildet die 1. Klasse von Vorstellungen.

Das "Vermögen zu denken" (gewissermassen die "Virtualisierung" von Kausalität mit Hilfe von Begriffen) hingegen bleibt der Vernunft vorbehalten. Diese ist "auf der Erde das alleinige Eigentum des Menschen".

Begriffe bilden die 2.Klasse von Vorstellungen.

1.5 Raum und Zeit

(§ 4) sind "der formale Theil der vollständigen anschaulichen Vorstellungen" (PhV I. S.447)
und bilden eine besondere (3.) Klasse von Vorstellungen als deren Korrelat Schopenhauer (Kant folgend) "reine Sinnlichkeit" bezeichnet. Raum als Vorstellung der äußeren, Zeit als Vorstellung des Inneren Sinne(s).
"da sie unabhängig von der Erfahrung [...] ganz und gar erkannt, und ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit nach konstruiert werden können, müssen sie auch an und für sich, ohne allen Gehalt dem Bewusstsein gegenwärtig seyn können." (PhV I. S.447)
Kausalität ist die Veränderung von Zuständen der Materie in Raum (nebeneinander, Geometrie) und Zeit (nacheinander, Arithmetik). Sind Raum und Zeit die Formen, so ist die Materie deren Inhalt durch den sie miteinander verknüpft sind. Materie kann "an sich" nicht erkannt werden, sondern nur in den Formen von Raum und Zeit, in denen ihre Zustände allerdings permanent wechseln.

Raum, Zeit und Materie werden von Schopenhauer als unendlich und unendlich teilbar angesehen. (Vgl. WWV II. Kapitel 4. S.50f.: "praedicabilia a priori")

"Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, nur sein Zustand wechselt." (KrV A187/B230)
Raum und Zeit bilden die 3.Klasse von Vorstellungen.


2. Das "Ding an sich"

(§ 1) ist ein von Kant erträumtes Unding, da weder Wille noch Vorstellung.

Kants Fehler: Er geht dem "Ding an Sich" anhand des Satzes vom Grunde nach, der jedoch auf außer Zeit und Raum liegendes keine Anwendung finden kann.

"Kant schreibt zwar Raum Zeit und die ganze Erscheinungsart des Objekts dem Subjekt zu, lässt aber als Ding an sich ein Objekt übrig, ohne genügend Rechenschaft darüber woher er es kennt". (PhV I. S. 128)
Der Begriff wird von Schopenhauer zwar übernommen, aber häufig durch "Wesen der Welt" ersetzt.
 


Exkurs

Die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde

Allgemeine Form des Satzes vom Grunde ist: 

"Nihil est sine ratione cur potius sit, quam non sit."

zu deutsch: "Nichts ist ohne Grund, dass es sey."

Dieser Satz zerfällt nach Schopenhauer in vier Klassen von Vorstellungen a priori. Desweiteren unterscheidet Schopenhauer intuitive und abstrakte Vorstellungen. Zu letzteren gehören nur die Vorstellungen der zweiten Klasse, die Begriffe.

1. Klasse: - Grund des Werdens die anschaulichen, vollständigen empirischen Vorstellungen: das Erkennen von Kausalität durch den Verstand.

2. Klasse: - Grund des Erkennens: die abstrakten Vorstellungen: Begriffe gebildet durch die Vernunft - "alleiniges Eigentum" des Menschen".

3. Klasse: - Grund des Seins: "der formale Theil der vollständigen anschaulichen Vorstellungen, Raum und Zeit" als Formen der äußeren und inneren Sinne. ("reine Sinnlichkeit",) Verhältnisse: Zeit : Sukzession, Arithmetik, Raum : Nebeneinander, Geometrie)

4. Klasse: - Grund des Handelns: ein individuell bestimmtes(einziges, nur in der Zeit - also durch den "inneren Sinn" - erkanntes!) Objekt: das "Subjekt des Wollens" (Selbstbewußtsein), Motive.

 
"So sehn wir, dass Thiere und Menschen durch Vorstellungen bewegt werden, nicht durch jene Art von eigentlichen Ursachen welche die bewußtlosen Dinge in Bewegung setzen."(PhV I. S.469)


3. Zur Diskussion:

Ist es zulässig, außer-raumzeitliche Unterscheidungen zu treffen? (Subjekt, Wille, intelligibler Charakter)

Wie ist die Schopenhauersche Annahme der Unendlichkeit von Raum, Zeit und Materie aus heutiger Sicht zu bewerten? Welche Konsequenzen ergeben sich?

4. Literatur:

Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Felix Meiner Verlag. Hamburg 2003.(Zitate im Text sind mit "KrV" gekennzeichnet.)

Arthur Schopenhauer. Die Welt als Wille und Vorstellung. Otto Hendel Verlag (Hermann Hilliger). Berlin (Antiquarisch um 1900)

Volker Spierling.(Hrsg.). Arthur Schopenhauer. Theorie des gesammten Vorstellens, Denkens und Erkennens. Aus dem Handschriftlichen Nachlass. R. Piper GmbH&Co KG München 1986 (Zitate im Text sind mit "PhV I" gekennzeichnet.)
 


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