Kurt Dutz

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Vernunft, Wille und Moral in Emilia Galotti

1. Begriffsdefinition

2. Wie handeln die Akteure in Emilia Galotti?

2.1 Der Fürst

2.2 Marinelli

2.3 Die Orsina

2.4 Appiani

2.5 Mutter Galotti

2.6 Vater Galotti

2.7 Emilia

3. Fazit

Begriffsdefinition

Diese Untersuchung erfolgt unter der Praemisse, dass Vernunft nicht Ursprung des menschlichen Willens ist, sondern ein Mittel diesen zu lenken. Das heißt zum Beispiel ihn zu zügeln, wenn er dem Träger des Willens zum Schaden gereichen würde. Wobei ich davon ausgehe, dass es als vernünftig anzusehen ist dem kategorischen Imperativ zu folgen.

Moral ist als ein weiteres Mittel zur Willenslenkung anzusehen, allerdings als eines das sich nicht unbedingt aus vernünftiger Erkenntnis ableitet.

Eine "vernünftige" Moral ist zwangsläufig eine wandelbare, da vernünftige Entscheidungen stets die Umstände, unter denen sie gefällt werden, berücksichtigen müssen.

Geht man z.B. davon aus, dass Gewaltanwendung prinzipiell unmoralisch ist, so lässt sich das dadurch vernünftig rechtfertigen, dass man davon ausgeht, dass niemand selbst Gewalt erdulden will.

Andererseits wäre es wohl keineswegs unmoralisch Gewalt dort anzuwenden, wo es gälte jemanden davon abzuhalten sich selbst oder anderen objektiv zu schaden; z.B. in Lebensgefahr zu bringen.

Der Schaden den diese Gegengewalt anrichtet, darf aber niemals größer / gleich dem Schaden sein, den es zu verhindern gilt.

Moral ist allerdings in Frage zu stellen, wo immer sie nicht aus Vernunft erwächst, sondern in Angst, Aberglaube, Gewohnheit oder im (ungezügelten) Machtwillen Einzelner wurzelt.

Eine solche Moral - zumal wenn sie sich dogmatisch verhärtet - ist kein Mittel vernünftiger Willenslenkung, sondern eines der Willensunterdrückung, des Zwanges.

Unterdrückung aber ist ebenso unmoralisch wie Gewaltanwendung.

Wie handeln die Akteure in Emilia Galotti?

Wenn wir dem höfischen Adel - wie im Tafelbild geschehen - amoralische Lebensweise unterstellen, so müssen wir ihm diese auch eindeutig nachweisen.

Der Fürst

Der Fürst hat seinen Willen auf jeden Fall an der langen Leine, was aber an sich noch keineswegs unmoralisch (nach vernünftigen Grundsätzen) ist. Auch seine Promiskuität ist nicht per se unmoralisch. Das Unmoralische in seinem Verhalten ist meiner Ansicht nach nicht in dem WAS seinens Tuns zu sehen, als vielmehr in dem Umstand des Privilegs und der Tatsache, dass er seinen Lebenswandel ohne Rücksicht auf das Wohl der zu ihm in Beziehung stehenden durchsetzt. Das heißt, dass seine Triebhaftigkeit dann nicht unmoralisch wäre, wenn sie die Billigung aller von ihr Betroffenen fände, was zwar nicht einfach, letzterdings aber auch nicht vollkommen unmöglich wäre. 1)

Über seine Beziehungskisten hinausgehend muss man ihm allerdings seinen leichtfertigen, verantwortungslosen Umgang mit der Macht vorwerfen (Todesurteil).

Immerhin lässt er sich nicht unter ein moralisches Joch zwingen, das aber nur weil er über genügend Macht verfügt, sich dieses Joch nicht auflegen lassen zu müssen und nicht etwa infolge vernünftiger Erkenntnis.

Marinelli

Marinelli kann man als zutiefst unmoralisch bezeichnen. Ihm ist jedes Leben außer seinem eigenen vollkommen gleichgültig, sein Wollen vollkommen zügellos. Er geht über Leichen.

Die Orsina

Auch in der gekränkten Gräfin Orsina siegt der verletzte Wille über jeden möglicherweise vorhandenen Funken von Vernunft. Sicherlich ist die Frau belesen, sie nur deswegen als aufgeklärt zu bezeichnen wäre aber doch zu viel des Guten. Alles in allem gesehen, ist sie allerdings insofern, dass sie erkennt, dass ihr Gefühl über ihre Ratio triumphiert, sie "den Verstand verliert", noch die aufgeklärteste Figur des Dramas.

Man könnte sagen, dass den drei bislang erwähnten Personen gemeinsam ist, Sklaven ihrer ungezügelten Begierden zu sein. Ihr Verstand (über den sie ja zweifellos verfügen) ist nicht Herr, sondern Werkzeug ihres Willens, was - nebenbei bemerkt - dann eben auch ihre Immoralität ausmacht.

Appiani

Ohne den Charakter des Appiani nochmals einer genaueren Untersuchung zu unterziehen würde ich ihn als "ehrenhaft" bezeichnen, was hier bedeutet, dass er sich noch an der Kandare hat. Er ist nicht "zügellos" wie die übrigen Adligen, aber auch nicht vernünftiger, denn er folgt seinen moralischen Prinzipien nicht aus vernünftiger Erkenntnis, sondern aus sturem Prinzip.

Vielleicht verfügt dieser Mensch sogar über genügend Grips vernünftig handeln zu können. Dann wäre er allerdings, allem sonstigen Schein zum Trotz, ein arger Feigling - weil er nicht wagt seinem Verstand zu folgen. Das wäre insofern, als hier sowohl Wille als auch Vernunft geknebelt würden, geradezu von zweifacher Tragik.

Mutter Galotti

Schauen wir nun mal ins "bürgerliche Lager", beginnend mit Mutter Galotti, die die geltende Moral nicht grundsätzlich in Frage stellt, sich aber, wo immer diese ihr lästig wird, flugs ein Hintertürchen sucht. Wichtig ist hier nicht Moral an sich, sondern deren unbeschädigtes Bild. Das ist zwar bigott, aber immerhin hat die gute Frau noch einen Rest eigenen Willen und versucht sich das Leben unter dem - bleiben wir mal bei dem schönen Bild - Joch bürgerlicher Moralvorstellungen ein wenig komfortabler einzurichten. Abzuschütteln aber wagt sie es nicht - warum auch, da sie es ja nicht wirklich in Frage stellt.

Unmoralisch ist man, wenn man erwischt wird.

Vater Galotti

Vater Galotti trägt nicht nur freudig das Joch der Moral, er hat sich sicherheitshalber zusätzlich auch noch Scheuklappen angelegt. Ein sturer Prinzipienreiter, nur wollend, was man ihn wollen lässt. Alles was recht ist.

Unmoralisch ist man, wenn man erwischt werden könnte.

Emilia

Emilia hat panische Angst, als sie erkennen muss, dass sie selbst ein Wollen hat. Sie ist in keiner Weise in der Lage ihren Willen zu zügeln, weshalb er ihr schlussendlich einfach durchgeht wie ein scheuendes Pferd.

Das Drängen ihrer erwachenden Sexualität ist ja eigentlich kein Dilemma, aber sie ist weder in der Lage diesem Drängen nachzugeben (was aber keine vernünftigen Gründe hat - nur moralische), noch ist es ihr möglich sich rational mit ihren "unmoralischen" Aspekten auseinanderzusetzen um ihnen eine (zumindest partiell) andere Richtung zu geben. Auch ein Hintertürchen zu finden gelingt ihr nicht ohne Hilfe ihrer - in dieser Hinsicht ja äußerst versiert wirkenden -Frau Mama.

Unmoralisch ist man, wenn man phantasiert, wobei man erwischt werden könnte.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich in dem ganzen Stück kein einziger "aufgeklärt" agierender Charakter findet. Der Adel ist entweder zügellos oder stoisch. Das Bürgertum klammert sich an eine Moral, die dem Einzelnen mehr schadet als sie der Gemeinschaft nutzt. Es folgt moralischen Maximen, wie es zuvor seinen (adligen) Herren folgte. Das ist überhaupt das Einzige, was sich gegenüber der Vergangenheit geändert hat: Statt Knecht realer, menschlicher Herrscher zu sein, hat sich das Bürgertum in die Knechtschaft einer Abstraktion begeben.

Moralisch zu leben heißt hier nicht etwa blinden Willen mittels vernünftiger Einsicht zu zügeln und ihn ggf. aus ebenso vernünftiger Einsicht ein wenig von der Leine zu lassen, um das Leid, das aus einer permanenten Willensunterdrückung geradezu zwangsläufig entstünde, zu vermeiden, sondern sich vollkommen in eine in keiner Weise zu hinterfragende moralische Schablone zu pressen.

Auch die Veränderungen im Verhältnis des Bürgertums zum Adel (Fürst als Mensch) sind in keineswegs primär die Folge bürgerlicher Bestrebungen, sondern finden ihren Ursprung in der Verluderung des Adels. Nicht die (scheinbar) größere Moralität des Bürgertums also ist es, die Veränderungen bewirkt, vielmehr liegt deren Ursprung in den Verhaltensweisen der Mächtigen.
 

Kurt Dutz

im September 2000
 
 


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