Ein Beitrag aus: Weltgesellschaft Kontrollgesellschaft Gesellschaft?  Autor: Kurt Dutz.

kommunikation: markt - macht - medien  | Inhalt
 

3. Markt

3.1 Die Gretchenfrage: Tauschen oder Teilen?

 
Neulich hat da einer
das Rezept entdeckt
in Frankfurt am Main
auf einem Luxusklo verreckt
das kam ganz tierisch an
war gut verpackter Blues
auf die Verpackung kommt's an
dieser Punkt ist ein Muss
Interzone: "Hintermann"
Die Fähigkeit zu kommunizieren, ist unabdingbare Voraussetzung für das Entstehen des Marktes überhaupt. Der Markt bietet seinerseits eine Plattform für Kommunikationen, kann also im weitesten Sinne schon ursprünglich den Medien beigezählt werden oder hat doch zumindest seit jeher einen gewissen medialen Aspekt.

Die Funktion des Marktes war zunächst wesentlich der Austausch von Gütern unter den verstreut lebenden Bewohnern bzw. Bevölkerungsgruppen eines relativ begrenzten Gebietes. Das Marktgeschehen war örtlich und zeitlich fixiert und spielte sich zu bestimmter Zeit, an einem bestimmten Ort ab. Als Anbieter traten zunächst, in Folge noch vorherrschender bloß "naturwüchsiger" Arbeitsteilung, vornehmlich die Erzeuger der angebotenen Waren selbst auf, wodurch Anbieter- und Abnehmerfunktion weitgehend zusammenfielen. Bei dieser Gelegenheit wurden - eher beiläufig - auch Informationen ausgetauscht, die zu diesem Zeitpunkt aber noch keinen Warencharakter besaßen. (Nicht zu übersehen ist hingegen, dass Waren Informationscharakter haben, selbst wenn dieser sich mitunter darauf beschränkt, dass man über ihre blosse Existenz informiert wird.) Ein solcher reiner Gütermarkt hat zur Voraussetzung, dass jeder Teilnehmer einen gewissen Überschuss besitzt, den er als Mittel, einen Mangel auszugleichen, einsetzen kann. Dem Markt muss also der Begriff des Eigentums als etwas, das bestimmte "Andere" vom Besitz der gleichen Sache ausschließt, zumindest als ein Begriff kollektiven Eigentums, vorhergehen.

Gegenüber anderen möglichen Formen der Aneignung, wie Eroberung, Diebstahl, Raub oder Betrug (Täuschung!), zeichnet sich die elementare Praxis des Marktes, der Tausch, ebenso, wie die Inbesitznahme "freier" Ressourcen, eigene Produktion, Schenkung, Erbschaft oder (Umver-)Teilen (FN3.1), durch gegenseitige Anerkennung von Besitzrechten aus.

Das Eigentum als solches, dürfte wohl aus einem a posteriori nicht mehr entwirrbaren Gemenge all dieser Formen von Aneignung entstanden sein. Seine Legitimität gewinnt es demzufolge aus bloßer Faktizität.

Ferner wird man davon ausgehen dürfen, dass der Tausch, innerhalb der auf dem Markt aufeinandertreffenden Gruppen (noch) keine wesentliche Rolle gespielt haben wird, sondern hier das Prinzip der Reziprozität - des Teilens also - vorherrschte. Das legt den Gedanken nahe, dass der Tauschakt ursprünglich eine Handlung zwischen sich Fremden, oder doch Unvertrauten, jedenfalls voneinander nicht subsisistenzmäßig Abhängigen, gewesen sein mag.

In Lehrbüchern der Wirtschaft, wird nach wie vor häufig die oben skizzierte "klassische" Form des Marktes herangezogen, um dessen Funktionen allgemein zu beschreiben. Die hier gezeigten typischen Eigenschaften sind heutzutage jedoch eher ausnahmsweise aufzufinden. Relikte dieser Form des Marktes haben sich zwar bis in die Gegenwart - etwa in Form von Jahrmärkten und Kirmessen - erhalten, ihre Bedeutung für die Güterversorgung allerdings eingebüßt.


3.2 Zur zunehmende Asymmetrie des Marktes

 
"Business is war!"
Jack Tramiel, Gründer von Commodore Business Machines und späterer Eigentümer der Firma Atari.
Mit fortschreitender funktionaler Arbeitsteilung (also schwindender Autarkie) und dem Aufkommen der Geldwirtschaft, änderte der Markt seinen Charakter. Er zerfiel in eine relativ geringe Zahl von Anbietern, die eine Zahl höchst vielfältiger, allerdings nicht länger eigener Produktion zu verdankender, Güter feilboten, und eine wachsende Schar von Abnehmern, bei denen nur noch ein einziges Gut nachgefragt wurde: Geld.

Da man aber Geld bekanntlich weder anbauen noch von Bäumen pflücken kann, mussten die Nachfrager solches ihrerseits durch Tausch erwerben. Der Markt selbst zerfiel nach und nach in eine wachsende Zahl hochspezialisierter Teilmärkte, wie z.B. Rohstoff-, Fertigwaren-, Kapital-, Devisen-, Aktien und Arbeitsmärkte etc., die nun ihrerseits auf Märkten zusammentreffen, die zumindest teilweise auf Dauer gestellt, also ununterbrochen stattfinden müssen.

Es scheint fast überflüssig, darauf hinzuweisen, dass im Zuge dieser Entwicklung, die Zahl dessen, was als Ware gelten konnte, stetig zunahm. Nicht mehr allein materielle Güter - Rohstoffe wie Fertigprodukte - sondern zunehmend auch bestimmte Fähigkeiten, Arbeitskraft, Wissen und Informationen, ursprünglich nur mehr oder minder erfreuliche "Begleiterscheinungen" des Marktgeschehens, wurden von Gegenständen der Mit-Teilung zu solchen des geldwerten Aus-Tausches.

Einhergehend mit Entstehung und Ausbreitung der Massenmedien werden bisher bestehende Verkettungen, innerhalb derer ein Produkt durch wiederholten personalen Tausch vom Erzeuger zum Konsumenten gelangte, zunehmend durch ein weitmaschigeres Distributions-Netz(?) ersetzt. Zur personalen Asymetrie gesellt sich die räumliche. Immer weniger Anbieter haben, akkumulieren, liefern immer mehr Güter über immer größere Entfernungen an eine immer größere Zahl von Abnehmern. Während der Abstand zum geografisch fernen Lieferanten auf einen rein zeitlichen sich verkürzt, nimmt die Distanz zum Verkäufer im Laden an der Ecke in gleicher - nein doppelter Weise zu. Vertraut wird der externalisierten und dadurch scheinbar weitreichenden Kontrolle: eigener Augenschein zählt nicht (FN3.2). Öffentliches - weiträumig Geltung heischendes - "Ansehen", das sich auf die bloße Annahme gründet, das Angesehene müsse einer unterstellten "Kontrolle" standgehalten haben, ersetzt die Mühe eigener Menschen(Er)kenntnis. Der Glaube an Institutionen - denen die Medien zuzurechnen sind - und Institutionalisiertes, ersetzt nicht nur die Religion, sondern auch den gesunden Menschenverstand. Die Zahl wird zum zentralen religiösen Element: Gut und Böse werden substituiert durch Viel - Wenig, Teuer - Billig, Groß - Klein, wobei jeder einzelne der neuen Leitwerte die Synthese beider alter darstellt. So gilt: "Gutes hat seinen Preis" aber auch "A&P = Attraktiv und Preiswert". Was zählen will, muss sich als zählbar erweisen. Was nicht durch Geld bezogen werden kann, lohnt die Beziehung nicht. Was nichts kostet, also nicht "exakt" messbar ist, wird nicht geschätzt.

So zeichnet"der Markt" der Gegenwart sich durch eine geradezu penetrante Allgegenwärtigkeit aus. Er schreit geradezu nach Inklusion: "Märkte haben einen Abscheu vor Grenzen wie die Natur vor der Leere."   (Barber 1999 S.17)

Der Tauschakt, ursprünglich nur gelegentlich und in fest umrissener Form ausgeübt, ist quasi zur permanenten Praxis geworden und erobert zunehmend ehemals private Teil-Bereiche. Kam anfänglich der Marktschreier nur in Form von Produktwerbung ins Haus, so bringt er heute - z.B. in Form von Teleshopping - seine Marktbude gleich mit. Allein dabei ist es nicht geblieben; bis in die intimsten Bereiche haben sich Sub-Märkte etabliert, die so selbstverständlich geworden sind, dass sie praktisch schon unter die Wahrnehmungsgrenze fallen. Mit der Befreiung des Individuums, geht seine Eroberung durch den Markt, auf dem es sich permanent zu behaupten gezwungen ist, einher.

Auch ohne Zeiterscheinungen, wie z.B. bei der Eheschließung vereinbarte Gütertrennung, getrennte Kassen, Wohnungen usw. bei in vorgeblicher Gemeinschaft lebenden Individuen, kurz: bis ins Detail ausgehandelter und vorab vereinbarter Rechte und Pflichten, die Zug um Zug zu erfüllen sind, grundsätzlich zur Diskussion zu stellen, kommt man nicht umhin, hier einen allgemein fortschreitenden Verlust an Nähe (die nicht durch gegenseitige Selbst-Behauptung sondern nur durch gegenseitigen Selbst-Verzicht herzustellen ist) und Vertrautheit festzustellen. Nicht länger ist das Individuum lediglich durch die Bedingungen der Produktion, sondern zunehmend durch die der Distribution (FN3.3) sich selbst entfremdet und so allem anderen fremd bleibend. In Zeiten, da die Produktion von Dingen zunehmender Automation anheimfällt, muss der Mensch sich selbst "bedingen". Wo er sich nicht mehr in seinem Produkt vergegenständlichen kann, wird er selbst zunehmend zu diesem Produkt, das ihm nur noch in Gestalt institutionalisierter allgemeiner Kontrolle gegenübertritt, dessen Marktchancen davon, solcher Kontrolle standhalten zu können, abhängen, und das er vertreiben muss. Er muss sich Allgemein-Gültigkeit verschaffen. Der Kreis schließt sich - das Individuum wird der Individualität zum Opfer gebracht.

"Dem Markt" kann Solches nur Recht sein: Der Weg führt vom öffentlichen Waschplatz über die hauseigene Waschküche zur familieneigenen Waschmaschine zum vollständig ausgerüsteten "Einpersonen- Haushalt". Von allgemeiner Autarkie zu partieller Autonomie, die nur funktioniert, wo das "Auto" für sich (selbst) ist, wo das Individuum allgemein individualisiert ist.

So schafft sich Selbst die Ressource, für den ansonsten unproduktiven Markt, ist in gleicher Weise dessen elementarer Rohstoff, als auch sein finales Produkt: der Konsument ist das zentrale Element aller marktwirtschaftlichen Arbeit, das durch Marketing weiter zu bearbeitende.

Wie es Benjamin Barber kurz und prägnant ausdrückt: "Der Konsument ist vielleicht die größte Errungenschaft der Moderne und er ist im Grunde ein einsamer Tropf." (Barber 1999 S. 169)


3.3 Markt: Medium "n-ter Ordnung" oder Meta Medium?

 
"...da Wörter nur Bezeichnungen für Dinge sind, sei es zweckdienlicher, wenn alle Menschen die Dinge bei sich führten, die zur Beschreibung der besonderen Angelegenheit, über die sie sich unterhalten wollen, notwendig seien."
Jonathan Swift, "Gullivers Reisen"
Virtualisierung ist für den Markt ein alter Hut. Seit er sich von der reinen Austauschfunktion zum Organ der Massen-Über-Produktion emanzipiert hat, besteht seine wesentliche Aufgabe darin, Imagination zu vermarkten, die Dinge des Marktes sind, sofern es sich nicht um eines der wenigen wirklich existentiellen Güter handelt, vor allem Kondensationskerne für psychische Bedürfnisse. Wenn man den Markt als Medium beschreiben will, dann könnte man sagen, dass wir es auf der gegenwärtig erreichten Stufe mit einer Sprache zu tun haben, deren Begriff das (Marken)Produkt ist und deren Grammatik das Marketing.

Wer die Syntax des Marktes nicht beherrscht oder ignoriert erzeugt Irritationen und läuft Gefahr, als Barbar oder zumindest als nicht ganz "zurechnungsfähig" angesehen zu werden.

Der Markenbegriff steht nicht länger primär für das durch ihn bezeichnete Produkt, sondern schließt wesentlich den Ausdruck einer mehr oder minder komplexen Weltanschauung ein. Sein eigentlicher Inhalt ist gewissermaßen virtueller Natur. Ewig unausgesprochen bleibend, wird er dennoch global verstanden.

Das massenhaft von Automaten Produzierte, ist frei von bestimmbarer humaner Sich-Vergegenständlichung und deshalb offen für Zuschreibungen aller Art durch Dritte, die durch ihre Zuschreibungen das Produkt als Kommunikat re-produzieren.

Der verzweifelte Versuch der sich selbst Entfremdeten, eine Identität zu gewinnen scheitert daran, dass der Markt per se nur Fremdheit liefern kann. Im vermarkteten Produkt finden sich weder ego noch alter. Da das Produkt als Symbol der Vergegenständlichung menschlichen Lebens ausgedient hat, somit nur noch als Träger virtueller Werte tauglich ist, sind die Voraussetzungen für die Wegwerfgesellschaft unumkehrbar erfüllt. Das reale alter, der "Konsumgenosse", dient nicht mehr der Selbstreflexion - sondern nur noch der Bestätigung (Sanktionierung) des im allgemeinen Nirgendwo virtuellen Warengehaltes sich verlaufenden ego.

So ist im Zuge zunehmender Arbeitsteilung endlich auch die Arbeit am eigenen Ich der Virtualisierung anheimgefallen - ego rekuriert nicht mehr vorzüglich auf alter sondern auf arbeitsteilig wesenlose Symbole - virtualisiertes alter. Das Label wird zum Für-Sprecher. Am Markt ist Macht gegen Geld und Geld gegen Marketing und Marketing gegen Macht konvertierbar.

Sich dem Markt entziehen zu wollen ist gleichbedeutend damit sich, gegen die Gemeinschaft der Kommunizierenden zu stellen - ein asozialer Akt. Legitim ist einzig die Flucht in Marktlücken oder -nischen - die man als Dialekte des Marktes bezeichnen könnte, oder auch als Ventil, mittels dessen die Opposition ihren Dampf ablassen darf. Die große Masse der Kommunizierenden spricht nonverbalen "Slang" (Boss, Coke, "Caipi", Prosecco etc.). Wer etwas auf sich hält, hat es an (sich). Die Arrivierten befleißigen sich derweil eines elaborierten Codes, bei dem das Produkt, ohne auffällige äußere Etikettierung, aus sich selbst (für-)"spricht" und der nurmehr Eingeweihten zugänglich ist. Alle aber verfügten über ein "elementares Esperanto": "Gibt es einen Ort in der Welt von heute, wo ein Tourist unverstanden bleibt, wenn er das Markenlexikon zitiert? Er braucht bloß »Marlboro, Adidas, Madonna, Coca-Cola, Big-Mac, CNN, BBC, MTV, IBM« zu stammeln und die babylonische Sprachverwirrung ist vorüber." (Barber 1999 S.92)


3.4 Markt und Medien

 
Du verstehst nichts vom Business
sagt der Hintermann
die Presse steht auf etwas
das noch niemals kam
heut musst Du was machen 
wie die Löwen in New York
die ganz wilden Jungs
die machen jede Menge Moos
Interzone "Hintermann"
Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik ist es bereits möglich, bestimmte, gesellschaftlich relevante Elemente komplett in den virtuellen Raum zu verlagern. Zumindest im Bereich symbolischer Transfers steht dem nichts mehr im Wege. Als erstes und wesentliches sei hier das Geld genannt. Man muss sich eigentlich schon wundern, dass wir immer noch mit Münzen, Scheinen und Schecks agieren("dürfen"?), statt ausschließlich mit "praktischen" Kreditkarten (FN3.4).

Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer "Leistungen" die sich ins Netz verlagern lassen, wie z.B. Auftragserteilung und -annahme, direkte Lieferung von Druckschriften, Bildern, Filmen, Tonaufnahmen, Software, desweiteren Tätigkeiten mittels und an vernetzten Geräten, wozu man prinzipiell alle "kommunikationsfähigen" - was hier im Wesentlichen "programmierbaren" bedeutet - zählen kann - also nicht nur Computer, sondern jedwedes elektronische Gerät vom Telefon bis zur Waschmaschine (Tendenz steigend), sowie Administrations- und Verwaltungsakte.

Somit ergibt sich hinsichtlich des Verhältnisses von Markt und Medien folgendes Bild:

  • Medien können dem Markt im Sinne von Vermarktung dienen (Marktschreier, Werbung etc., aber auch Bestellungen)
  • Medien lassen sich vermarkten (Bücher, Zeitschriften, Tonträger, Videos, (Pay)TV)
  • Medien können zum Markt werden (Lieferung von Produkten über das Medium, aber auch online Auktionen etc.)
  • Medien können vermarktbare Produkte erzeugen.
  • Mit dem heimischen Rechner verfügt der Nutzer folglich nicht nur über ein Kommunikations - sondern zugleich auch über ein Produktions- und Vertriebsmittel von beträchtlicher Kapazität. Schon ein einfacher Laserdrucker der unteren Preisklasse druckt pro Minute acht Seiten und mehr, würde also den Druck einer 1200 Seiten starken Bibel in etwa zweieinhalb Stunden, den der gesamten Auflage der Gutenbergbibel (180 Exemplare), für deren Herstellung Gutenberg rund zwei Jahre benötigte, in rund zwei Monaten erledigen können. (Eine 40 Std. Woche zugrunde gelegt. Allein die Fähigkeit zu anderer, als der Re-Produktion, scheint mehrheitlich abhanden gekommen zu sein.

    Klickt man sich im Internet durch die Seiten privater Anbieter, so gewinnt man den Eindruck einer gewissen Begrenztheit, die man zum Teil als eine Art "Suburbanisierung" bezeichnen könnte, was sich darin äußert, dass die web-site hier offenbar die Rolle des Gartenzwergs im Vorgarten oder die des Nippes im Wohnzimmer übernommen hat, und kann sich als Außenstehender sich des Eindrucks, hier wolle man im wesentlichen "unter sich" bleiben kaum erwehren.

    Die Formen sind, was das Seiten-Layout, die Gliederung und die Verlinkung betrifft "von der Stange" und die "Inhalte", sofern nicht die eigene Person betreffend, mit geradezu erstaunlicher Übereinstimmung im Netz zusammengesucht und frei von jeglicher als persönlich auffassbarer Aussage.

    Verfolgt man z.B. die Links, die von den obligatorischen "Gästebüchern", deren Einträge sich im Allgemeinen auf ein stereotypes "Tolle Seite! Besuch doch mal meine!", gefolgt von einem entsprechenden Link, beschränken, aus auf andere Seiten verweisen, oder wirft man einen Blick auf die meist vorhandene Seite mit "Linkempfehlungen" so stellt man schnell fest, dass die derart miteinander verbundenen Seiten sich nur marginal voneinander unterscheiden.

    So stößt man auf regelrechte Gemeinden ("communities") dichtender Hausfrauen, glücklicher Familien, toleranter Paare, tabuloser Singles oder party-süchtiger Teenager, aus denen kaum ein Weg hinausführt und deren jeweilige "Bewohner" anscheinend recht wenig Interesse für das Treiben in der "Nachbargemeinde" entwickeln. So stellt auch der amerikanische Politologe Benjamin R. Barber fest, dass "die sagenhaften Wunder der Virtualität [ ... ], das Problem auf[werfen], ob im Internet organisierte virtuelle Gemeinschaften von irgendwie relevantem politischem oder öffentlichem Charakter sind und ob solche Computernetze Öffentlichkeit und staatsbürgerliches Engagement erweitern oder zersetzen." (Barber 1999 S. 144)
    Es scheint, als müsse man den Menschen nur auf einer genügend hohen Stufe in eine beliebige Entwicklung einsteigen lassen um ihn sicher am Wickel zu haben: Er kann gar nicht anders, als sich an das bereits allgemein Vorherrschende zu klammern; er muss nach oben schauen und marschieren, sich an das (vor)Gegebene halten, und ignorieren, dass ihm der Boden fehlt. Den Dingen jetzt noch auf den Grund gehen zu wollen, scheint angesichts des Tempos, mit dem fortgeschritten wird, absurd.

    Auffällig ist freilich, dass sich der PC, der ja - als Produktionsmittel - bereits seit den frühen 80er Jahren des 20. Jhts. verfügbar war, sich erst mit dem allgemein möglichen Zugriff auf das Netz , also als Kommunikationsmittel sowie zunehmender Eignung, als Freizeitgerät ("Unterhaltungselektronik", Stichwort Computergames) Verwendung zu finden, auf breiter Front durchzusetzen konnte. Die Kosten dürften hier eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, da die Preise für ein durchschnittlich leistungsfähiges, aktuelles Gerät mit ca. 1000 bis 1500 EURO seit Jahren gleich geblieben sind.

    Jenseits aller Kritik jedoch, wird zweierlei deutlich: zum Einen scheint sich die alte Forderung Brechts, nach der Bestimmung der Inhalte von Massenmedien durch die Massen, zu erfüllen, zum Anderen findet offenbar eine sukzessive Virtualisierung sozialer Beziehungen statt.

    Gerade dem letzten Punkt sollte unbedingt weiter nachgegangen werden, was allerdings den hier gegebenen Rahmen sprengen würde.



    Fußnoten:

    (FN3.1) Zu den Alternativen einer Marktwirtschaft kann man neben EInrichtungen wie dem "Potlach" der nordamerikanischen Westkuesten-Indianer oder den polynesischen "Umverteiler-Gesellschaften" (Beispiel: "Bei den Sinuai [... ] ist das höchste Streben eines jungen Mannes, mumi-Status zu erringen. Ein junger Mann beweist seine Fähigkeit mumi zu werden, indem er härter arbeitet als jeder andere und seinen persönlichen Fleisch und Kokosnusskonsum sorgsam einschränkt. Nach und nach beeindruckt er seine Frau seine Kinder und seine nahen Verwandten durch die Ernsthaftigkeit seiner Absichten, und sie geloben, ihm bei den Vorarbeiten und Vorbereitungen zu seinem ersten Fest zu helfen." ) wohl auch die Tempelwirtschaft zählen; die Frage ist m. E. keine der Herrschaft, sondern, ob die Herrschenden sich der Gesellschaft von "Habenichtsen", der sie vorstehen primär verbunden fühlen, das ihnen zufallende "Eigentum" also wesentlich als gemeinschaftliches auffassen, für das sie die Verantwortung tragen und das in erster Linie ihnen zukommt um die gemeinschaftliche Potenz einheitlich zum Ausdruck zu bringen, und diese Gesellschaft als Ganzes gegen die Bestrebungen anderer (gleichartiger) zu behaupten versuchen, Oder ob diese Form der Loyalität einem Streben nach Anerkennung vornehmlich unter "seinesgleichen" - anderen Ausbeutern also - weichen muss. Erst wo Teile ursprünglich kollektiven Eigentums dem allgemeinen Willen entzogen werden, oder wo sich autarke Kollektive gegenübertreten beginnt der Markt (oder der Krieg).

    (FN3.2)Ähnliches Verhalten zeichnet sich auch im Bereich des allgemein sozialen ab. Der entfernte Gesprächspartner im Chat wird um so vertrauenswürdiger, je weiter er entfernt, je weniger er Vorstellung, je mehr er Stellvertreter bloßer Phantasie ist und als Fiktion behandelt werden kann.

    (FN3.3) Distributio = Verteilung. Man beachte jedoch auch: dis- = eine Trennung bezeichnend , entzwei, auseinander; tribus = der Stamm

    (FN3.4) Auch Geld gehört inzwischen zu den durch Symbole ersetzten Symbolen. Ungeprägtes Edelmetall hatte noch "handfesten" Warencharakter. Geprägt und gegenüber dem Materialwert "überbewertet", wurde es zum Symbol und symbolisierte jede beliebige Ware eines entsprechenden Wertes. Die Banknote hat praktisch keinen eigenen Wert mehr, ist aber noch "greifbares" Symbol. Kontoauszug und Kreditkarte beherbergen nur noch Zahlen. Die totale Abstraktion der Güterwelt.
     


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