Kurt Dutz: Gutenberg 2000

4. Über die Zukunft des Lesens

Auch in seinem Beitrag mit dem Titel: "Widersteht dem Info Terror!", zu der hier im Zentrum der Betrachtung stehenden Beilage, weist der bei manchen im Ruf eines Schwarzsehers stehende New Yorker Professor für Medien-Ökologie in ähnlicher, leicht humoristischer Weise auf die Auswirkungen der Gutenbergischen Innovation hin und sagt, dass, hätte er er im 15. Jahrhundert gelebt, er wohl folgende Warnungen ausgesprochen haben würde:

An die Adresse des Heiligen Stuhls

die, dass durch die Verbreitung der Druckerpresse das Wort Gottes auf dem Tische eines jeden Christenmenschen landen und somit die Autorität der kirchlichen Hierarchie ernstlich in Gefahr gebracht werden würde sowie dass Martin Luther mit der Druckerpresse bewaffnet mehr als ein an chronischer Verstopfung leidender Mönch sei - das gedruckte Wort ihn vielmehr zu einem ernstzunehmenden Umstürzler mache.

An die regierenden Fürsten

die, dass ihre Tage gezählt seien, denn das Druckhandwerk werde den neuen Begriff der Nation hervorrufen, was den lokalen Potentaten unweigerlich den Garaus machen werde.

An die Alchemisten

die, sich einen neuen Beruf zu suchen, da die Druckkunst dem induktiv vorgehenden wissenschaftlichen Denken massiven Vorschub leisten und die Alchemie im kritischen Blick zum Allgemeingut gewordenen Gelehrtenwissens keine Überlebenschance haben werde.

An die fahrenden Sänger

die, dass ihr Gewerbe binnen 100 Jahren oder weniger aussterben werde und sie gut beraten seien ihren Auszubildenden ans Herz zulegen sich ab sofort im Verfassen von Romanen und Essays zu üben.

"Solche Sprengkraft", so fährt er fort, "hatte der Buchdruck mit beweglichen Lettern.". Allerdings sei es eine Frage des Standpunktes ob man diese "prophezeiten" Entwicklungen positiv oder negativ auffasse. Angehörige reformierter Kirchen hätten sicherlich den Niedergang des Heiligen Stuhls freudig begrüßt, wohingegen Katholiken angesichts solcher Aussichten in heftigen Zorn geraten wären und es einem Juden widerum wohl so oder so egal gewesen wäre, sei es doch vollkommen gleichgültig ob ein Pogrom im Namen eines Martin Luther oder eines Leo X. angezettelt würde.

Die "tiefgreifende Umwälzungen in der Struktur des Lesens" sieht Postman allerdings nicht im 15. sondern im 18. Jahrhundert, für das eine weit verbreitete literarische Bildung, der Aufstieg des Buchs zum Massenmedium, das Aufkommen von Büchereien, die Herausbildung von Zeitschriftenfür ein allgemein interessiertes Publikum sowie die Entwicklung der Tageszeitung kennzeichnend gewesen seien. Im 20. Jahrhundert habe dann der Kollaps dieser, wie er sagt, "glücklichen Fügung" eingesetzt und er vermute, dass sich dieser "Prozess des Niedergangs" im 21. Jahrhundert fortsetzen werde. Weiter führt er aus, dass künftig (nach Steiner) drei Arten des Lesens geben werden bzw. gebe.

1. Die Entspannungslektüre (Flughafen- bzw. Bahnhofsbuch)

2. Das Lesen zum Informationserwerb (Computerausdrucke, Teletext, e-mail)

3. "Restbestände" des Zeitalters literarischer Bildung, die derzeit von den Zwängen des Informationszeitalters ausgedünnt würden.

Letztgenanntes Lesen erfordere vermutlich spezielle Kenntnisse weswegen nur wenige dazu im Stande seien. Natürlich sei es durchaus denkbar, dass neue Wege des Transports von Schriftsprache wie z.B. e-mail so eingesetzt würden, dass sie eine nachdenkliche Lektüre förderten, was er allerdings bezweifle. Im Zuge dieser Entwicklung werde sich - soweit nicht bereits geschehen - das Wesen des politischen Diskurs ändern. Über weite Strecken des 18., 19., ja selbst des 20. Jahrhunderts sei Politik die Politik des geschriebenen Wortes gewesen. Mit dem Niedergang des ernsthaften Lesens aber widmeten sich die Bürger immer mehr der Person der Politiker, statt sich deren Ideen und konkrete Politik anzusehen. Auch die Bibel (womit wir wieder am Anfang wären) würden möglicherweise die Meisten eher über (Zeichentrick)Filme kennenlernen, als über das Buch selbst und visuelle Auftritte charismatischer Prediger Gläubige nachhaltiger prägen als alles, was jemals über Religion geschrieben wurde.

Selbst in den Nachrichten werde unser Bewusstsein primär durch visuelles Stückwerk von Orten und Personen geprägt werden und weit weniger durch rational nachvollziehbare, komplexe, schriftlich ausformulierte Ideen. Zwar würden wir künftig über mehr Informationen verfügen als je zuvor, der Großteil davon aber werde uns als immenser Wust, zudem weitgehend unangefordert aufgetischt werden. de facto werde Information zu einer Art Müll verkommen und die Menschheit sich gegen bislang noch nicht erlebten Informationsterror wehren müssen. Zwar sei ihm sehr wohl bewusst, dass Sokrates die Meinung vertreten habe, der Wechsel von der mündlichen Tradition zur Schrift werde sich als Katastrophe erweisen und dieser sich in diesem Punkt geirrt habe und es sei gut möglich, dass auch er selbst sich in seinen Einschätzungen irre, was er aber bezweifle.

Weiter


Zum Klausuren und Referate Flohmarkt
home
Zur Uni-HP mit weiteren Arbeiten
Kommentare (Neues Fenster)

© 2001by K.D.
http://www.blues-browser.de