Ein Beitrag aus: Weltgesellschaft Kontrollgesellschaft Gesellschaft?  Autor: Kurt Dutz.

kommunikation: markt - macht - medien   Inhalt
 

1. Kommunikation

1.1 Grundlegende Überlegungen

 
"Denn 'wahr' und 'falsch' sind Attribute der Sprache, nicht von Dingen. Und wo es keine Sprache gibt, da gibt es weder 'Wahrheit' noch 'Falschheit'."
Thomas Hobbes (1588-1679)
Wir wollen Kommunikation hier - ungeachtet anderer Lesarten - als den Austausch (bzw. die Weitergabe) von Information zwischen mindestens zwei Individuen definieren. Information wollen wir primär als (individuelle) Eindrücke, die das Bewusstsein aus der Umwelt mittels sinnlicher Wahrnehmung erhält, bestimmen. Diese Eindrücke können kommuniziert werden. Im Falle spezifisch menschlicher Kommunkation zeichnet sich der Übermittlungsvorgang durch die Verwendung symbolisch generalisierter Medien aus. Das Symbol schlechthin ist der Begriff. Das durch den Begriff Symbolisierte muss zumindest einmal empirisch wahrgenommen worden sein um decodiert werden zu können, wobei es sich bei dieser Wahrnehmung auch um eine Beschreibung eines Begriffs mittels anderer (bekannter) Begriffe handeln kann, also um eine Erklärung. Daraus ergibt sich, dass Information (abstrakt) weitergegeben werden kann, ohne dass ihre Inhalte sinnlich gegeben sein müssen

Wir nehmen den Begriff Information also relativ wörtlich. Information ist die Form oder besser das Gefäß (Transportvehikel?), ihr Inhalt ist etwas Wissbares, Er ist allerdings nicht das Gewusste. Dieses entsteht erst durch die Aufprägung in das "Material" Bewusstsein. Das Wissen des Wissbaren entsteht demnach durch eine Art Synthese aus Information und Bewusstsein - es wird mit bereits Ge(Be?)wusstem verschmolzen. Da jedes einzelne Bewusstsein von unterschiedlicher Beschaffenheit ist, nimmt das Wissen unterschiedliche Formen an. Bewusstsein als Summe partikularer Gewissheiten ist in seiner Gesamtheit nicht mitteilbar.

Aus dem eben Gesagten folgt, dass wir es, wenn wir von Information sprechen, mit zwei Klassen zu tun haben: einer  Klasse primärer Information, die wir aus unmittelbarer Anschauung gewinnen und einer Klasse sekundärer Information, die wir in Form von Symbolen erhalten.

Ferner ergibt sich, dass es zumindest fahrlässig ist, von der gegenwärtigen Gesellschaft als einer "Informationsgesellschaft" zu sprechen. Es gibt praktisch keinen wachen Augenblick im Leben eines Menschen, der ohne Information wäre. Das entscheidende Merkmal der sogenannten "Informationsgesellschaft" ist m. E. nicht, dass wir mehr Informationen erhalten, sondern, dass sich das Verhältnis von primärer und sekundärer Information mehr und mehr zu Gunsten der Letztgenannten verschiebt.

Kommunikation via symbolischer Medien setzt sich prinzipiell aus drei Elementen zusammen: Sender, Empfänger und Symbol. Um zwischen Sender und Empfänger ausgetauscht werden zu können bedarf das Symbol darüber hinaus eines Trägers. Genaugenommen haben wir es, wenn wir von einem Medium sprechen, also immer mit einer Medienkombination zu tun, die ihrerseits aus mindestens zwei Elementen bestehen muss: Dem Bedeutungs- und dem (den) Trägerelement(en) (FN1.1). Die Güte aller beteiligten Elemente ist entscheidend für die Qualität der Übermittlung. Ausgehend vom Primärmedium Sprache, haben sich (bzw. wurden) nach und nach weitere Medien entwickelt, die letztlich alle auf der Sprache aufbauen, sich aber in bestimmten Punkten von ihr unterscheiden. Als zur Unterscheidung geeignet erscheinen die folgenden vier Kriterien:

1. Die Formen

2. Die Verfügbarkeit

3.Die Reichweite: unterschieden in:räumliche, kulturelle, temporale und soziale Reichweite

4.Die Relevanz bzw. Aktualität

Bezeichnend für die Medien höherer Ordnung ist die Verwendung neuer, zum Teil künstlich geschaffener und durch zuvor erst zu entwickelnde Techniken erschlossener Trägerelemente. Demzufolge sind diese, im Gegensatz zum Primärmedium, stets abhängig vom Stand der technischen Entwicklung. Deshalb sei zunächst folgende Unterscheidung vorgeschlagen:

Medien 1. Ordnung

Solche Medien, die als "natürliche" Medien zwar "Technik" voraussetzen, jedoch keinerlei "externer" technischer Hilfsmittel oder Werkzeuge bedürfen. Zu ihnen sind die Verbal-, Zeichen- und Körpersprache zu zählen, deren Trägerelemente Luft, im Falle verbaler, und Licht, im Falle von Zeichensprache, ebenfalls naturgegeben sind.

Medien 2. Ordnung

Die mechanisierten technischen Medien, die erst infolge der Entwicklung bestimmter Techniken realisiert werden können, wobei es zu Unterschieden hinsichtlich jedes der oben angeführten Kriterien kommen kann und darüber hinaus zusätzliche Vercodungen erforderlich werden.

Medien 3. Ordnung

"Medien-Ensembles", die die Existenz anderer Medien bereits voraussetzen und deren Trägerelemente am Kommunikationsprozess aktiv beteiligt sind. Wie das geschieht, wird noch zu zeigen sein.

Medien "n." Ordnung?

"Kontingente" Medien, über deren Beschaffenheit hier noch keine Aussagen gemacht werden können.


1.2 "Natürliche" Kommunikation

 
"So schwätzt und lehrt man ungestört,
Wer mag sich mit den Narr'n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen."
J.W. v. Goethe
Hinsichtlich der soeben vorgenommenen Einteilung kann man ein Medium erster Ordnung in etwa wie folgt charakterisieren:

Die möglichen Formen, die es annehmen kann sind z.B. Monolog, Dialog, (geordnete) Diskussion, (ungeordnetes) Streitgespräch, Ansprache (Rede), Anweisung, Kommando. Es ist - unabhängig von kulturellen oder technischen Voraussetzungen - allgemein verfügbar. Seine Reichweite ist räumlich - da auf Hör- bzw. im Falle von Zeichen- und Körpersprache auf Sichtweite beschränkt - kurz. Die kulturelle Reichweite der Verbalsprache ist auf den jeweiligen "Sprachraum" begrenzt. Zeichensprache kann, wie das Beispiel der nordamerikanischen Indianer zeigt, eine über den engeren kulturellen "Sprachraum" hinausreichende Gültigkeit besitzen. Körpersprache, die ohnehin nur eingeschränkt als "symbolisiert" zu bezeichnen ist, kann man weitgehend als allgemein verstehbar betrachten. (FN1.2) In der Praxis erfolgt Kommunikation durch eine Mischung dieser drei Sprach(grund)formen. Sozial gesehen erstreckt sich die Reichweite sowohl auf den Bereich der privaten, als auch der öffentlichen Kommunikation. Die zeitliche Reichweite ist sehr kurz. Man muss zu dem Zeitpunkt, an dem eine Aussage gemacht wird als Hörer anwesend sein. Daraus folgt, dass die Relevanz hoch ist. Sendung und Empfang ereignen sich praktisch gleichzeitig. (FN1.3)


1.3 Technisierte Kommunikation.

Allen Medien zweiter und höherer Ordnung gemein ist, dass sie nicht unmittelbar auf natürlich-biologischen Grundlagen basieren, sondern auf dem bereits entwickelten Medium erster Ordnung im Verbund mit anderen kulturell/technischen Entwicklungen. Der erste Schritt zur Technisierung findet sich in Form von Schrift- und Signalsprachen (Rauch-, Licht-, Feuerzeichen). Im Falle der Schriftsprache werden die vorhandenen Symbole (Worte) umcodiert; d.h., die bereits vorhandenen Symbole werden ihrerseits durch eine neue Klasse von Symbolen symbolisiert und neue dauerhaftere Trägerelemente werden eingeführt. Das Medien-Ensemble "wächst". Die Signalsprachen beschränken sich hingegen zunächst auf die Umcodierung unter Beibehaltung der naturgegebenen Trägerelemente

1.3.1 Mechanisierung: Die Schrift

 
Das Organ aber, womit man zur Menschheit redet, ist die Schrift: mündlich redet man bloß zu einer Anzahl Individuen; daher, was so gesagt wird, im Verhältnis zum Menschengeschlechte, Privatsache bleibt.
Arthur Schopenhauer
Wesentliches Merkmal der geschriebenen Sprache ist das dauerhafte exakte Fixieren von Aussagen über den Zeitpunkt des "Aussprechens" hinaus. Hieraus folgt, dass man sowohl die räumliche als auch die zeitliche Reichweite - in Abhängigkeit von den verwendeten Trägerelementen, sowie dem Stand des Verkehrswesens - als mittel bis sehr groß bezeichnen kann. Das geschriebene Wort kann auch nach Jahrtausenden und in beinahe jeder Entfernung vom Ursprungsort "empfangen" werden. Allerdings sind sowohl die zeitliche Verzögerung als auch der Decodierungsaufwand dann zum Teil sehr groß.

Diese Entwicklung ist demzufolge nur möglich um den Preis der Trennung von verbaler und nonverbaler Sprache sowie auf Kosten der Aktualität. Ferner können Übermittlungsfehler und Missverständnisse nicht mehr unmittelbar korrigiert werden; "Wahrhaftigkeit" lässt sich nicht mehr aus der begleitenden unwillkürlichen Körpersprache ableiten. Es muss sorgfältiger formuliert (codiert) werden, da sowohl die unterstützenden Elemente von Körper und Zeichensprache als auch die Möglichkeiten der spontanen Korrektur nicht mehr gegeben sind.

Verfügbarkeit und kulturelle Reichweite sind von bestimmten sozialen, technischen und ökonomischen Voraussetzungen, wie etwa dem Umfang der Alphabetisierung und der Entwicklung spezifischer Technologien (Handschrift, Druck), abhängig. Das impliziert, dass bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen zur Teilhabe erfüllt sein müssen.

Die soziale Reichweite erstreckt sich sowohl auf den privaten (Briefe, Notizen) als auch den öffentlichen Bereich (Inschriften, Bekanntmachungen, Anschläge, Bücher, Periodika). Die Kommunikationsrichtung ist im Wesentlichen uni- oder (eingeschränk) bidirektional Die spezifischen Eigenschaften des Mediums bringen eine bestimmte Ordnung mit sich. Man kann ungehindert "reden", aber nur wenig oder gar nichts dafür tun, dass einem auch zugehört wird.

Diese älteste Methode sprachliche Symbole zu konservieren zeichnet sich insgesamt durch vergleichsweise geringen technischen bei relativ hohem kognitiven Aufwand aus. Sowohl primäre als auch sekundäre Codierung finden als kognitive Prozesse statt.

1.3.2 Elektrifizierung: Tonübertragung, Tonaufzeichnung, Radio, Film, Fernsehen, Telephonie, Funk.

 
[ ... ] if it's true that the act of observing changes the thing which is observed*, it's even mor true that it changes the observer.
* Because of quantum
Terry Pratchett "Soul Music"
Genau umgekehrt verhält es sich, wie leicht zu zeigen ist, bei den elektronischen Medien. Diese kommen, obwohl auch hier zusätzliche Codierungen erfolgen, weitgehend, und vom Morsealphabet einmal abgesehen, ohne Entwicklung neu zu lernender Symbolklassen aus. Stattdessen erfordern sie allerdings einen dramatisch höheren technischen Aufwand. Die Information verlässt auf ihrem Weg zwischen Sender und Empfänger die Sphäre des sinnlich Wahrnehmbaren und wird in den Bereich elektromagnetischer Wellen transferiert. Die hier erforderliche Codierung findet wesentlich als externalisierter technologischer Prozess statt.

Mit Hilfe elektrifizierter Medien lassen sich mittlerweile alle bis dato entwickelten Symbolformen über einen ausgedehnten geografischen Bereich übertragen. Die zeitliche Reichweite ("Lebensdauer") lässt sich durch geeignete Aufzeichnungsverfahren ebenfalls drastisch erweitern.

Da in Abhängigkeit von der spezifischen Ausprägung des Mediums alle bislang entwickelten Kommunikationsformen Eingang in es finden können, ist eine bestimmte kognitive Ausbildung seitens des Empfängers im Falle der Ton/Bild Übertragung nicht erforderlich. Auch ein Analphabet kann an der Kommunikation per Radio, (Fernseh-)Film oder Fernsprecheinrichtungen ohne weiteres teilnehmen. Das Senderprivileg wird allerdings gestärkt. Die Möglichkeit "reden" zu können ist in zunehmendem Maße von der Verfügungsgewalt über kulturelle, politische und ökonomische, aber auch soziale (FN1.4) Ressourcen abhängig.

Es kann folgende Grobeinteilung vorgenommen werden:

Eher öffentliche Medien mit wesentlich unidirektionalem Charakter sind Fernsehen, Rundfunk, Kino, während Telefonie und Funk als eher private Medien mit wesentlich bidirektionalem Charakter angesehen werden können.

Die Verfügbarkeit ist wesentlich abhängig von (individuellen) ökonomischen und (allgemeinen) technischen Voraussetzungen. Sind diese erfüllt, so ist eine allgemeine Teilhabe, wenn auch mehrheitlich auf die Rolle des Empfängers beschränkt, ohne weiteres möglich, da die wesentlichen Elemente Bild und Verbalsprache ohne weiteres verstehbar sind.

Alle bisher beschriebenen Medien zeichnen sich durch die Verwendung von Symbolen aus. Diese Symbole repräsentieren Gegenstände oder Sachverhalte, kurz: Ereignisse; das ist ihre allgemeine Bestimmung. Das zu Repräsentierende liegt aber nicht im Symbol, sondern im Bewusstsein der Kommunizierenden. Das Symbol fungiert quasi als Schlüssel zur Wissensaktivierung. Das individuelle Bild, das durch die Rezeption eines Begriffs entsteht, hängt jeweils davon ab, was

a) der Rezipient allgemein über das Symbolisierte weiß und

b) welcher Teil dieses Wissens ihm im Kontext als relevant erscheint.

Eine Reihe von Symbolen - ein Satz - "informiert" also praktisch nur, dass bereits erhaltene Informationen zu reaktivieren und in bestimmter Weise zu arrangieren sind. Seine eigentlich Information liegt wesentlich also nicht im Bild sondern im Kontext.

Ein simpler Satz wie: "Vor unserem Haus steht ein Baum." enthält (zu einem bestimmten Zeitpunkt) nur eine empirische aber ungezählte virtuelle Wahrheiten.

Jeder Leser eines Buches folgt einem vom Autor konzipierten oder beschriebenen Prozess und bildet sich dabei seine ganz und gar eigene Wirklichkeit (ein), abhängig von den ganz individuellen Eindrücken, die er in der "wirklichen Welt" zuvor sammeln konnte. Er ist gehalten, die Bilder, zu denen der Text nur Schlüsselreize liefert, selbst durch Rekombination bereits gespeicherter sinnlicher Eindrücke und vorhandenen Wissens, zu erzeugen Er bleibt allerdings sinnlich/sensorisch in der Wirklichkeit verhaftet, wenn auch möglicherweise - insofern als dass sich sein Zeitempfinden an das Gelesene anpasst - temporal entkoppelt und verbindet sie so mit der Virtualität, die er in seinem Kopf entwickelt.

Ganz abgesehen von rein logisch abstrakten Inhalten, die an sich bereits Virtualität per excellence darstellen, ist also schon das Wort (oder jedes andere Symbol) insofern Vermittler von Virtualität, als sich alles durch Worte (Symbole) Beschriebene in der Wirklichkeit SO (d.H. in bestimmter Weise) "JETZT" nicht auffinden ließe. Es erzeugt lediglich die Vorstellung eines möglichen "So(oder So)-Seins".

Beim Hören von Tonkonserven, werden Tonquellen (Stimmen, Instrumente und Geräusche aller Art) sinnlich wahrgenommen, die sich in der raumzeitlichen Gegenwart nicht auffinden lassen, sondern durch einen vibrierenden Papierfetzen simuliert werden. Mittels eines Kopfhörers kann der Rezipient sich zudem akkustisch vom tatsächlich gegenwärtigen Geschehen abkoppeln, eine virtuelle Welt hören, sie durch Schließen der Augen auch "visuell" imaginieren, in ihr aber nicht agieren.

Das Kino scheint insofern "weniger" virtuell, als dass man hier einem Mix aus speziell generierten und real stattfindenden Eindrücken ausgesetzt ist, wobei es sich bei dem auf der Leinwand zu beobachtenden Ereignissen immer - auch bei noch zu erwartenden - um bereits vergangenes Geschehen handelt. Ähnliches gilt für das Fernsehen, allerdings besteht hier die Möglichkeit sich stärker abzukoppeln, indem man sich z. B. allein vor das Gerät setzt, eventuell den Raum verdunkelt und Kopfhörer benutzt. Dennoch bleibt auch hier das Geschehen auf dem Bildschirm klar als Abbild erkennbar. Die Position des Beobachters ist vorgegeben. Er kann seine Perspektive nur hinsichtlich des gesamten Bildes, nicht hinsichtlich seiner Inhalte ändern, kurz: er kann sich nicht in ihm umsehen.

Bei Film und Fernsehen werden zum Teil Handlungen beobachtet, die eigentlich ihrerseits nur das Ergebnis anderer, nicht wahrnehmbarer, Handlungen sind. Die eigentlichen Handlungen, die des Erschaffens der rezipierten Schein-Handlungen nämlich, sind im Film selbst nicht mehr direkt beobachtbar. Wahrgenommen wird hier also keine "wirkliche" Handlung sondern deren Symbolisierung durch Schauspieler.

Etwas anders verhält es sich im Falle von Ton und/oder Film-Reportagen. Hier liegen zumindest Fragmente tatsächlich sich ereignet habender Geschehnisse vor. Es kann zu dem Problem kommen, dass - bei einer entsprechend "gelungenen" Inszenierung - die Unterscheidung zwischen fiktivem und tatsächlichem Geschehen ohne besondere Kennzeichnung nicht mehr möglich ist(FN1.5).

Alles in allem werden rudimentäre Eindrücke vermittelt, nicht nur insofern, als dass auf dem Wege mehrstufiger Vermittlung (FN1.6) Nuancen verlorengehen, sondern auch, als dass bestimmte Daten von vornherein durch das Medium nicht übertragen werden können. Einen Film betrachtend, sehen wir vielleicht einen Dschungel, eine Fabrik, eine Eiswüste oder sonst etwas, aber wir RIECHEN den Raum in dem wir uns tatsächlich befinden und fühlen dessen Temperatur und Klima und keineswegs das der Welt, deren visuell/akkustische Impression wir gerade empfangen. Imaginäre Ergänzungen sind erforderlich; folglich "riecht" jeder einzelne Rezipient die jeweils dargestellte Lokalität so, wie er glaubt, dass sie riechen müsse.

Ein weiteres, dieser Medienform gemeinsames Merkmal ist, dass Eindrücke/ Informationen/ Daten nur in eine Richtung übermittelt werden. Die Funktion Sender ---> Empfänger ist im laufenden Kommunikationsprozess nicht umkehrbar. Interaktion ist nicht möglich. Spontane Nachfrage oder Wiederholung sind ausgeschlossen. Der Sender zwingt dem Empfänger sein Tempo auf. Allerdings kann der Empfänger die Übermittlung unter- oder ganz abbrechen. Er kann die Sendung sanktionieren, nicht den Sender. Beim Lesen hingegen ist eine Wiederholung des Ganzen oder einzelner Passagen jederzeit möglich. Ferner bestimmt hier ausschließlich der Empfänger die Übertragungsgeschwindigkeit, muss sich also nicht synchronisieren.

Anzumerken ist noch, dass der Inhaber des Senderprivilegs dieses im Falle der Verwendung elektronischer Medien quasi in ein Empfängerprivileg und einen "Senderzwang" wandeln kann. D.h. er kann bestimmte Beobachtungen exklusiv an sich senden lassen (Überwachungskameras, Abhörgeräte etc.).

Bereits jetzt können wir hinsichtlich der Evolution der Medien feststellen, dass diese mit wenigstens zwei notwendigen "Nebenerscheinungen" untrennbar verbunden ist.

Erstens verliert der durch sie beförderte Kommunikationsprozess auf jeder einzelnen Entwicklungsstufe zunehmend an Anschaulichkeit, wird selbst virtualisiert. Liegt er auf der ersten Stufe noch mehr oder minder vollständig im Bereich sinnlicher Wahrnehmung, in Gesicht und Gehör, oder doch zumindest in je einem von beiden, so bleiben auf der zweiten Stufe zwar alle einzelnen Schritte des Prozesses im Bereich des sinnlich Rezipierbaren, als Ganzes ist er nun aber nicht länger anschaulich zu erfassen. Auf der dritten Stufe endlich verschwinden einzelne Phasen des Prozesses vollkommen aus dem Bereich sinnlicher Anschaulichkeit und sind nur noch theoretisch zu beschreiben oder mittels geeigneter Instrumente durch Messung indirekt nachzuweisen.

All dieses geht - zweitens - einher mit der Notwendigkeit immer umfassenderer kollektiver Anstrengungen. Der zunehmend komplexer werdende Kommunikationsprozess lässt sich nicht mehr allein durch die Aktivitäten der Kommunizierenden in Gang halten; mehr und mehr ist die Mitwirkung Dritter, inhaltlich nicht Beteiligter, oder abstrakter gefasst: der Zugriff auf andere als die eigene Energie (FN1.7), erforderlich. Das heißt: höher entwickelte Medien setzen einen höheren Grad von Arbeitsteilung und gesellschaftlicher Koordinination voraus und tragen in ihrem Auftreten den nächsthöheren Grad bereits kontingent in sich. Die jeweils realisierten Grade werden durch die Medien sowohl bezeichnet als auch vorgeschrieben. Jeder einzelne erreichte Grad schafft Bedingungen, die weitere Steigerung fordern.

Hier erweist sich der Satz "The medium is the message" als durchaus zutreffend: Durch seine bloße Existenz, liefert das Medium bereits eine, wenn auch grobe, Beschreibung (FN1.8) der diese Existenz bedingenden Gesellschaft.

Soviel zur Vorgeschichte. Was aber kann sich durch neue Medien, also Computer, Internet etc. ändern, oder:


1.4 Computer: Wird Virtualität wirklich?

 
Ich wünscht' ich wär der Mann mit dem mechanischen Herz
ich töte alle Schurken
und tret' die Jungs an Ihren Platz
wie der Kerl in der Glotze
Interzone: "Glotze"
Fangen wir am Ende (des vorigen Abschnitts) an: Interaktion ist möglich. Zunächst zwischen Nutzer und Medium also Mensch und Maschine.

Alle im Vorhergehenden besprochenen Medien besaßen lediglich die Eigenschaft, als Träger von Symbolen fungieren zu können. Das Symbol wird ihnen vom Sender quasi aufgeprägt, um sich dem Empfänger einzuprägen. Bei einem Computer aber handelt es sich um eine universelle, Symbole verarbeitende Maschine, die man schon "an sich" als bloß virtuell bezeichnen kann. Sein konkreter Teil, die Hardware, ist, für sich besehen, zu rein gar nichts in der Lage, außer Energie zu verbrauchen. Um diese "potentielle" Maschine zu irgendeiner Funktion zu bringen, muss sie zunächst "beschrieben" werden, d.h. die eigentliche Maschine wird aus Symbolen gebaut und ist in der Tat nur virtuell (als "Text") vorhanden. Stark verkürzt können wir sagen: Die (eigentliche) Maschine besteht aus Symbolen, empfängt und verarbeitet (andere) Symbole und gibt (wieder andere!) Symbole aus. Das Medium "Sprache" ist also der "konkrete" Baustoff, der eigentlichen, erst als Software realisierten Maschine. Das Besondere in Bezug auf den Computer ist, dass er jedes Symbol in eindeutiger Weise "auffasst", während Menschen Symbole nicht nur kontextabhängig sondern auch emotional gefärbt interpretieren. Der Computer "spricht" eine rein formale Sprache.

Die Universalität dieser Maschine beruht wesentlich auf ihrer prinzipiellen Primitivität; sie kennt nur ein elementares Symbol (Bit), das zwei verschieden Zustände (es ist entweder "gesetzt" oder nicht) annehmen kann. Eine Anzahl dieser Zustände kann, zu komplexeren Gruppen formiert, neue Symbole ergeben, die ihrerseits wieder zu Gruppen geordnet werden können und so fort.

Ein vollständiger Satz so geordneter Muster (ein Programm) konstituiert dann erst die eigentliche - jetzt allerdings mehr oder minder spezialisierte - Maschine, die durch andere Skripte in gleicher Weise beschrieben werden kann usw.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Die Hardware eines PC als solche kann als eine universelle Maschine bezeichnet werden. Sie enthält allerdings bei der Auslieferung bereits eine Beschreibung (BIOS), die sie in gewisser Weise spezifiziert; sie ist jetzt eine Maschine mit bestimmtem Funktionsumfang, die auf bestimmte Eingaben über die Tastaur in bestimmter Weise reagiert, bestimmte Ausgaben auf einen angeschlossenen Bildschirm oder Drucker schreibt, Daten von in bestimmter Weise präparierten Datenträgern liest etc. Damit wird aus ihr eine Maschine die sich in bestimmter Weise weiter spezifizieren lässt: Das Betriebssystem das nun geladen werden kann, das Anwenderprogramm das unter diesem System gestartet wird, alles dies sind Beschreibungen von Maschinen, die zuvor beschriebene Maschinen weiter beschreiben.

Würden wir so "reden" wie die Maschine, würde das bedeuten, mit einem Laut (und einem "Nichtlaut") zu sprechen. Um auf solche Weise "Ja" sagen zu können müssten wir, angenommen es stünde uns "A" als Laut zur Verfügung, folgende Lautkombination äußern: " _A__A_A_ (für J) _AA_____A (für a), außerdem müsste jedem Zeichen noch ein weiteres Symbol, das dessen Anfang bzw. Ende markiert, eingefügt werden, eine Anweisung, wo es abzulegen ist, sowie ein Verweis auf den Beginn des nächsten Symbols. Entscheidend ist, dass jedes Symbol eine eindeutige Instruktion darstellt: Es beschreibt a: Welchen Zustand eine Gruppe von Elementen annehmen soll, wie sie zu konfigurieren ist und b: wo (an welcher "Adresse" - relativ oder absolut; also "ab Element Nr. n oder ab dem ersten Element mit der und der Eigenschaft) diese Konfiguration vorgenommen werden soll. Man kann der Maschine also nicht einfach sagen: »Nimm dieses Symbol und "mach was draus"«.

Jedenfalls ist hier die ursprünglich gegebene kommunikative Doppelfunktion Sender/Empfänger zumindest partiell wieder hergestellt. Man sendet Signale an die Maschine und empfängt seinerseits Signale, die der laufende Prozess ausgibt. Zwar kann man, wenn die empfangenen Data sich auf ein tatsächliches Geschehen aus der "Außenwelt" (Nachrichten, Berichte, die sich im Speicher der Maschine befinden) beziehen, in dieses nicht unmittelbar eingreifen, wohl aber auf den weiteren Verlauf eines durch Programme generierten Geschehens. Als einfaches Beispiel seien Computerspiele genannt, deren Fortgang von den (Re-) Aktionen des Spielers gleichermaßen, wie von denen der Maschine abhängt. Gleiches gilt auch für andere Programme die, um funktionieren zu können, Eingaben des Benutzers erfordern, deren von der Maschine ausgegebenen Resultate mehr oder weniger sinnvolle neue Eingaben erfordern usw.

Spätestens jetzt sollte uns klargeworden sein, was unter Medien 3.Ordnung, die "am Kommunikationsprozess aktiv beteiligt sind" zu verstehen ist.

1.4.1 Vernetzung

Eine weitere Steigerung von Interaktionsmöglichkeiten ergibt sich infolge von Vernetzung, wobei die Vernetzung von Maschinen alleine im Grunde noch nichts (außer, dass ein Mensch nun mit mehreren Maschinen "kommunizieren" könnte) bewirken würde. Das Entscheidende ist also die Vernetzung der Anwender.

Die Merkmale:

  • Die einseitige Zuweisung Sender/ Empfänger wird aufgehoben
  • Die Interaktionen können über mehr als nur ein Sender/ Empfänger Paar hinausgehen: Chatrooms, MUDs (FN1.9) etc..
  • die Kommunikation läuft auf mehreren Ebenen, zum einen kommunizieren die Nutzer untereinander, zum Anderen sind alle genötigt mit dem Medium zu kommunizieren, Statusmeldungen zu beachten, Anweisungen übergeben (und sei es nur der Druck auf die Eingabetaste am Ende jeder Mitteilung).
  • Viele Nutzer derartiger Einrichtungen, sprechen ab jetzt vom Cyberspace, den sie vom "real live" deutlich zu trennen suchen.
  • Ob diese Bezeichnung hier tatsächlich angemessen ist, darf durchaus bezweifelt werden; der Grad der Virtualisierung ist m.E. - wenn überhaupt - nur unwesentlich höher, als der eines Telefonats, bzw. einer Telefonkonferenz, sieht man einmal davon ab, dass man am Telefon sein(e) Gegenüber immerhin noch hört, während man sie im Chat "nur" noch liest. Der Informationsverlust ist jedoch weniger total als es zunächst scheinen mag, denn aus der Art und Weise wie jemand schreibt, lassen sich - aufgrund von Indikatoren, wie Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik - ebenso Schlüsse ziehen, wie aus seiner Sprechweise, seinem Tonfall etc.

    Die besonderen Merkmale:

  • Es herrscht eine strikt sequentielle Ordnung, die schon durch das Medium bedingt ist: man kann sich nicht ins WORT fallen (wohl aber in den (längeren) Satz). Man kann zwar (absolut gesehen) gleichzeitig reden (Eingaben machen). Diese Eingaben werden aber vom Medium (Programm) in sequentieller Ordnung ausgegeben. Die Reihenfolge ist nicht abhängig vom Zeitpunkt der Eingabe sondern vom Zeitpunkt der Übergabe an das Programm. Erst mit dem Drücken der "Eingabe Taste", wird also "ausgesprochen".
  •  Wenn man jedes einzelne Wort oder schlimmer: jedes Zeichen einzeln absenden würde, wäre das resultierende Chaos allerdings ungeheuer. Man kann den "gesprochenen" Satz noch korrigieren ehe man ihn "ausspricht" (externalisiertes Denken?), riskiert allerdings bei zu langem Zögern, den Anschluss zu verlieren. Bei älteren Formen digitaler Kommunikation, wie der Direktverbindung zweier Rechner mittels eines Terminalprogrammes, war dieses Senden einzelner Zeichen durchaus üblich, wobei das Chaos dadurch vermieden wurde, dass der Empfänger keine Eingaben machen konnte, solange der die Übermittlung an ihn lief.
  • Im Dialog, der nach streng geregeltem Schema (senden/empfangen/senden )abläuft, bestimmt der Langsamere weitgehend das Tempo, im Gruppen-Chat hingegen läuft er Gefahr, auf der Strecke zu bleiben, da er mit dem Tempo der anderen oder der Menge der Äußerungen nicht Schritt zu halten vermag.
  • Eine Eskalation der Kommunikation in den Bereich physischer Gewalt ist nicht zu befürchten.
  • Die Kommunikation kann jederzeit (folgenlos) abgebrochen werden.
  • Die beiden letzten Punkte gelten allerdings dann nur eingeschränkt, wenn die Kommunizierenden auch außerhalb des "virtuellen Raumes" miteinander bekannt sind.

    Bemerkenswert erscheint, dass der Trend offenbar dahin geht, das, was den besonderen, in der spezifischen Beschränkung liegenden, Reiz derartiger Kommunikation ausmacht, mehr und mehr aufzugeben, zugunsten von "Voice Chat, visueller Übermittlung via web-cam etc. Im Prinzip läuft eine solche Entwicklung auf einen Hang zur Entvirtualisierung hinaus, macht ein Verlangen nach Sinnlichkeit bzw. (ver)sinnlich(t)er Illusion deutlich und kündigt im Übrigen eine ähnliche "Dekognitivierung" an, wie man sie von anderen elektrifizierten Medien ohnedies gewohnt ist.

    Man kann es drehen wie man will, alles, was bislang beschrieben wurde, ist letztlich nichts anderes als das Aneinanderrücken realer Welten (Räume) und somit die Quasi-Entfernung dreier Dimensionen aus der vierdimensionalen Welt, die weiterhin der eigentliche (Er)Lebensbereich der Agierenden bleibt.

    Die Virtualität wird in einen gewissermaßen eindimensionalen Zwischenraum, der von einander getrennte/entfernte Räume/Raumsegmente koppelt, verschoben. Reale Aktion (kognitiver Prozess/Dateneingabe) wird virtualisiert, übermittelt und erzeugt ebenso reale Reaktion: Dateneingabe, Übermittlung usw.

    Virtual Reality oder doch zumindest imaginäre Welten lassen sich mit den gegebenen Mitteln/Medien immerhin insoweit realisieren, als man sie für Rollenspiele nutzen, seine Identität im Zwischenraum ändern/wählen, neue Identitäten kreieren, sich selbst vervielfältigen und unter mehreren Identitäten "gleichzeitig" (in einem bestimmten Zeitraum) agieren, oder aber sich zu mehreren eine Identität teilen kann/könnte. Es fällt allerdings auf, dass solches Verhalten außerhalb eigens reservierter Räume nicht gern gesehen wird. Hier soll man "ehrlich" sein; d.h. es wird erwartet, dass man (s)einen realen Namen angibt und auch über Geschlecht, Alter, Aussehen und allgemeine Lebenssituation zutreffende Aussagen macht. Abgesehen davon, dass sich eine solche "Wahrhaftigkeit" im Allgemeinen nicht verifizieren lässt, wäre sie auch ansonsten von keinerlei Bedeutung, es sei denn man beabsichtigte, einen Kontakt im "Jenseits", der real world also, anzubahnen.

    Imaginäre Welten lassen sich zum einen auf der Basis bloßer verbaler Kommunikation (»Beschreib Dich mal.« - »Bist Du m oder w?«) schaffen, zum anderen unter Einbeziehung graphischer und akkustischer Möglichkeiten des Mediums (MUD / Online Strategie Spiele etc.), wobei die "Einwohner" dieser Welten auf deren Ausgestaltung mehr oder weniger großen Einfluss nehmen könn(t)en.

    Wo die Information ist? Man erfährt etwas darüber was in anderen Köpfen vorgeht - ohne die Köpfe ausmachen zu können.

    Ein anderer Schritt in Richtung VR ist darin zu sehen, dass man durch "Stellvertreter" in Form von z.B. Comic-Figürchen die Kommunikation visualisiert. Weitere Schritte sind nicht nur denkbar, sondern liegen geradezu auf der Hand.

    Ehe wir diesen Ansatz in die Zukunft fortzuschreiben versuchen, wollen wir unser Augenmerk aber anderen Aspekten des Mediums zuwenden.


    1.5 Internet:

    1.5.1 Der entscheidende Unterschied?

    Das Merkmal, welches das Medium Internet grundlegend von allen anderen Medien unterscheidet, ist, dass wir es hier mit etwas zu tun haben, das gleichzeitig privates, öffentlich es und veröffentlichendes Medium ist, in dem sowohl unidirektionale, bidirektionale als auch omnidirketionale Kommunikation möglich ist. Darüber hinaus ist es nicht nur ein Medium zur Übermittlung von Kommunikationen, sondern auch ein Medium zur Übermittlung von Medien.

    Die Summe dieser Eigenschaften erst liefert die Voraussetzungen für die Möglichkeit "totaler" Virtualität, ist Vorbedingung für den "wirklichen" Cyberspace.

    Ein leerer Raum ist eine relativ langweilige Angelegenheit, also muss der Cyberspace irgendwie "möbliert" werden. Auf der ersten Stufe geschieht dies dadurch, dass Elemente der real world in diesen leeren Raum übermittelt werden.

    1.5.2 Grenzen - Wieviel Wirklichkeit lässt sich im Netz abbilden?

     
    nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensibus
    Aristoteles
    Der Cyberspace ist alles andere als ein grenzenloser Raum, er kann also nur in Abhängigkeit seines "Volumens" gefüllt werden. Die Grenzen dieses Volumens werden durch verschiedene Faktoren bestimmt.

    1. Die Kapazität der Software

    Alles was nicht durch deren spezifische Möglichkeiten, also Text, Ton, Bild oder Film vermittelt werden kann, findet (zunächst noch) keinen Eingang (Geruch, Gefühl, Wärme Druck, etc.)

    2. Die Kapazität der Hardware

    Hierzu zählen in erster Linie das Speichervermögen der verfügbaren und ans Netz angeschlossenen Massenspeicher sowie die Bandbreite der Datenverbindungen, aber auch der Umfang der Systemredundanz, die gewährleistet, dass beim Ausfall einzelner Einheiten, keine Informationsverluste auftreten.

    3. Die Kapazität menschlicher Erkenntnis.

    Egal wieviel Daten eingegeben werden, es wird immer nur eine Teilmenge der tatsächlich vorhandenen sein und sie müssen zuvor aus dem Real-Raum transferiert worden sein.

    Alle Daten die vermittelt werden, sind mangelhaft, da sie nur in Form von Abbildern übertragen werden. (Als Bild, Klang oder Beschreibung). Die realisierbare Präzision oder Güte dieser Abbilder ist direkt abhängig von den drei zuvor genannten Faktoren Software- Hardware und Erkenntniskapazität.

    1.5.3 Das Problem der Aktualisierung

    Auf dieser Stufe der Entwicklung hält der Cyberspace also ein der realen Welt mehr oder weniger ähnliches Abbild. Dass dieses Abbild, Verzerrungen aufgrund seiner "räumlichen" Beschränkungen enthält, wurde bereits diskutiert. Kennzeichnend für diese Verzerrungen ist einerseits das gänzliche Fehlen gewisser Elemente, andererseits die Reduktion der enthaltenen Objekte. Im Laufe der Zeit entsteht noch eine andere Form der Verzerrung; es finden sich Beschreibungen von Sachverhalten die in der real world nicht mehr existieren, obsolet sind, bzw. nicht als rein historischer Sachverhalt - in dem Sinne, dass sie waren aber nicht mehr sind - identifizierbar.

    Ein Beispiel: Gebe ich meinen Namen in Google ein, so erfahre ich, dass ich ein Gewerbe ausübe, nebst Anschrift und Telefonnummer. Es wird also behauptet, dass dieses Element existiere. Tatsächlich allerdings wurde dieses Gewerbe, nebst Räumen und Telefonanschluss jedoch bereits vor Jahren aufgegeben

    Mittlerweile scheinen die entsprechenden Seitenbetreiber, was mich angeht, diesen Fehler behoben zu haben. Es ist aber davon auszugehen, dass ich nicht die einzige Netzleiche dieser Art war und deren Zahl sich auch künftig kaum verringern wird. Natürlich erhält man die gleiche Fehlinformation, wenn man ein fünf Jahre altes Telefonbuch nach meinem Namen durchsucht. Der Unterschied ist aber, dass in diesem Fall von vornherein keine Aktualität vorausgesetzt wird.

    Die Übereinstimmung des Cyberspace mit der real world hinge also, wenn sie denn erwünscht wäre, unter anderem von laufender, zeitnaher Aktualisierung ab. Eine weitere Verzerrung könnte man in der bewussten Verbreitung falscher Tatsachen sehen, wobei es sich aber um keine medienspezifische Eigenschaft handeln würde. Falschmeldungen, Lügen und Gerüchte sind immerhin, ebenso wie Auslassungen und Missverständnisse, Bestandteil jeder Kommunikation.

    Der virtuelle Raum stellt sich somit zunächst als etwas heraus, dass sich zwar auf die real world bezieht, ihr aber nicht entspricht, wobei der Grad der Äquivalenz hier nicht weiter diskutiert werden kann.

    Auf der hier beschriebenen Stufe sind seine Möglichkeiten allerdings bei weitem nicht ausgeschöpft, denn zumindest der Tastsinn lässt sich neben Gesicht und Gehör bereits heute schon an einen Rechner koppeln. Als einfaches Beispiel hierfür sei der "force feedback joystick" genannt oder auf die sogenannte "teledildonik"(Werber 1999 S.415) verwiesen. In beiden Fällen wird der Tastsinn stimuliert, und zwar entweder durch das Verhalten einer anderen ebenfalls vernetzten Person (gegenseitige sexuelle Stimulanz mittels ferngesteuerter "Geschlechtsteil-Prothesen") oder durch den Rechner selbst, wenn z.B. der Joystick oder das Lenkrad den Aktionen, entsprechend den virtualisierten Verhältnissen, auf die eingewirkt werden soll, dem Spieler Widerstand entgegensetzen.

    Damit kommen wir zu einer entscheidenden und bislang noch wenig erschlossenen Möglichkeit der rechnergestützten Kommunikation:

    1.5.4 Rechner können Datenmuster generieren!

    Um für den interagierenden Menschen interessant zu sein, dürfen diese Muster aber nicht völlig beliebig sein, sondern müssen in Bezug zu seiner (Er)Lebenswelt stehen, müssen (wieder)erkennbar sein. Das heißt, diese Generierung beschränkt sich - zumindest vorerst - auf eine Rekombination von kleineren, aus der real world abgezogenen Informationseinheiten zu neuen Informationskomplexen (Man gibt dem Rechner das Wort, und dieser generiert die Geschichte). Die "sinnvollen" Grenzen sind durch entsprechende Programmierung festzulegen. Ein relativ gutes Beispiel ist das bekannte Programm "ELIZA" von Joseph Weizenbaum(FN1.10) , das einen Psychotherapeuten simuliert. Das Prinzip ist erstaunlich simpel: das Programm reagiert auf jede Eingabe des Benutzers, indem es die von diesem eingegebenen Elemente (Worte) in neue Komplexe (Sätze) modelt.

    Die Leistungsfähigkeit des Programms wurde zunächst (allerdings nicht vom Entwickler selbst) hoffnungslos überschätzt. So vermeinten praktizierende Psychotherapeuten, ihre Patienten künftig quasi vollautomatisch therapieren zu können, Testpersonen (darunter zur Überraschung Weizenbaums, auch seine Sekretärin) waren überzeugt, das Programm verstünde sie und bauten schnell eine emotionale Bindung zur Maschine auf und etliche Kollegen Weizenbaums unterlagen der Illusion, mit ELIZA schnell zum Verständnis natürlicher Sprachen (in Linguistik und Computerwissenschaft) zu gelangen. (Weizenbaum 1994 S. 15ff.)

    Eine Variante auf sensorischer Ebene könnte ein Programm sein, das, während es einen "Teledildo" steuert, laufend über die physiologische Befindlichkeit des Nutzers zu informiert wird (Temperatur, Puls- Atemfrequenz, Feuchtigkeitshaushalt etc.) und in Abhängigkeit von diesen Informationen die Stimulation variiert.

    1.5.5 Unmittelbare Kommunikation - Pure Virtualität?

    So weit wir bis hierher auch fortgeschritten sind, alle Kommunikation ist "mittelbar" geblieben. Längst aber haben diverse Autoren, wie die folgenden Zitate zeigen, diesen Fortschritt weiter gedacht; unmittelbare Vernetzung von Bewusstsein zu Bewusstsein oder doch zumindest von Gehirn zu Gehirn ist die Vision, die allerdings - soweit mir bekannt ist - bislang nicht radikal zu Ende gedacht wurde.
    Der vieldiskutierte Cyberspace ist die Erfindung eines Science-fiction-Autors, der seine Romanwelt mit einer Zukunftstechnik ausgestattet hat, welche die unmittelbare Kommunikation der Menschen von Bewusstsein zu Bewusstsein ermöglicht, die dank direkt im neuronalen Netz implantierter Interfaces direkt miteinander verbunden werden. Dank dieser Verschaltung von Gehirn und Rechner ist der digitale Datenraum mit allen Sinnen zu erfahren. "The body was meat", man lässt ihn zurück. Als löse sich die res cogitans endgültig von der res extensa, betritt das Bewusstsein den "Kyberspace", der im Medium eines ungeheuren Netzwerks aus Rechnern und Datenleitungen eine einzige "Matrix" bilde. Diese dreidimensionale, virtuelle Welt, deren Unterscheidung von der real world bisweilen schwerfalle ... (Werber 1999 S. 414)
    Neuromancer lieferte auch die Schlagworte für die Medientheorie. Mit Elektroden und Glasfaserkabeln ist der User direkt an diese Kyberspace-Matrix angeschlossen mit der ganzen Bandbreite des "menschlichen Sensoriums". [...] Gibson: Grafiken ersetzen die abstrakten Daten. Bolz: "In Zukunft wird die Welt durch errechnete Bilder kontrolliert." Die Lichtschnelle Kommunikation hat die langsame Mitteilungsform von Sprache und Schrift abgelöst: "At least we will truly see what we mean." Mark Dery kommentiert: "The dislocation of mind and body; signifier and signified is mended at last." Postlinguistische Kommunikation der Seelen ohne entfremdende Medien sei das Telos dieser Utopie. [ ... ] Da die Medien nicht länger trennten, sondern verbänden werde die Menschheit endlich eins. Die "den Cyberspace tragende soziale und kulturelle Bewegung" mündet, Pierre Lévy zufolge, "in eine nicht mediasierte, interaktive, gemeinschaftliche, transversale und rhizomatische Kommunikationsform" einer "virtuellen Gemeinschaft", die in diesem Medium eine "kollektive Intelligenz" ausbilden werde. Gibson: "Wir koppelten uns. Direkt." (ebenda S. 415 f.)

    1.5.6 Die Schwelle

     
    Küsse aus Stahlbeton
    aus kaltem Neonlicht
    gekauft im Underground
    verkauft auf Höhenflügen
    bringt diese Stadt zum Heulen
    diese Schluchten zum Schweigen
    Interzone: Küsse aus Stahlbeton
    Genau besehen, entpuppt sich, was hier als unmittelbar bezeichnet wird, offenbar als eine Illusion. Zwar wird die realräumliche Distanz zwischen Kommunizierenden gewissermaßen aufgehoben, doch ist diese Aufhebung nicht unvermittelt, was lediglich dadurch verschleiert wird, dass man die erforderlichen Interfaces (nebst ihrer Verbindungselemente) als Medien schlicht ignoriert.

    Desweiteren fällt auf, dass auch diese Form des "Cyberspace" nach wie vor am Tropf der real world hängt. Sein hervorstechendes Merkmal, die Eindimensionalität (dass auch diese Dimension letztlich keinen Raum im virtuellen Raum hat, wird noch zu zeigen sein), wird negiert indem man ihm scheinbare Dreidimensionalität im Sinne herkömmlicher Raumvorstellungen zu verleihen sucht. Die fiktive virtuelle Nähe flüchtet in ebenso fiktive virtuelle Distanz. Allerdings bietet auch ein solcher "dreidimensionaler" virtueller Raum noch Möglichkeiten, die jenseits des real Erfahrbaren liegen. So könnten z.B. mehrere "Akteure" gleichzeitig den selben "Raum" in ihm einnehmen, der für einen weiteren, anders positionierten Beobachter trotzdem unbesetzt erschiene, sofern die Akteure von einer symbolischen Nachbildung ihres Selbst im Raum absähen. Man könnte auch auf das Attribut der Undurchdringlichkeit von Elementen im Raum verzichten, oder dieses Attribut modifizieren, so dass der Akteur die Möglichkeit hätte in Objekte einzudringen oder durch sie hindurch zu gehen etc

    Interessant scheint mir hier darauf hinzuweisen, dass die dem System zugrundeliegende rigorose binäre Logik (1, 0) hier virtuell aufgehoben wird: (A = A; A kann nicht gleichzeitig und in der selben Hinsicht auch B sein). Stellt man sich z.B. einen in einer virtuellen Steinmauer steckenden Arm vor, dann ist zunächst festzustellen, dass sich die "Körper" nicht gegenseitig verdrängen, sondern quasi verschmelzen. Die Eigenschaften der Verschmelzungspunkte, müssen jedoch von vornherein weder als Stein noch als Fleisch, noch als Synthese beider bestimmt werden, sondern sind beliebig - auch indifferent - zuschreibbar, oder können - abhängig vom Eintreten anderer Ereignisse - variabel generiert werden. Unterschiede liegen nicht zwischen den Elementen, sondern werden direkt in sie eingeschrieben. Die virtuelle Physis unterliegt keinen physikalischen Gesetzen;. auch diese müssen, soweit sie Gültigkeit haben sollen, erst virtualisiert werden.

    Zwischen der Bewegung im physikalischen und der Bewegung im virtuellen Raum gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während im physikalischen Raum physikalische Elemente (Moleküle, Atome) in einem gegebenen Zustand ihre Position im Raum verlagern, gibt es eine solche Bewegung im virtuellen Raum nicht. Bewegung im virtuellen Raum erscheint als solche infolge einer Zustandsveränderung räumlich fixierter Elemente.

    Nehmen wir die Bewegung eines Lichtpunktes als Beispiel. Diese waere physikalisch zu beobachten wenn z.B. eine (eingeschaltete) Diode durch den Raum getragen wird, als virtuelles Ereignis wenn eine Reihe solcher Dioden nacheinander ein und ausgeschaltet werden. Nebenbei zeigt dieses Beispiel auch das digitale Prinzip. Es gibt keine Kontinuität und damit eigentlich auch keine Kausalität in der (für)wahr-genommenen "Bewegung", sondern sie setzt sich aus ("maskierten") "Sprüngen" zusammen, deren Ursache nicht in der scheinbaren Kontinuität liegt.

    1.5.7 up to the skies - Versuch über radikale Virtualisierung

     
    Denn wir sehn, dass die Erkenntnis, ohne die Anschauung, welche der Leib vermittelt, keinen Stoff hat, daß mithin das Erkennende, als solches, ohne Voraussetzung des Leibes, nichts ist, als eine leere Form; noch zu geschweigen, daß jedes Denken eine physiologische Funktion des Gehirns ist, eben wie das Verdauen eine des Magens.
    Arthur Schopenhauer
    Es scheint wenig einleuchtend, warum die zunächst aufgrund der direkten Kopplung ausgeschalteten (vermittelnden und deshalb als störend erachteten) Sinne durch die Hintertür Eingang finden sollten in diesen "dreidimensionalen", mit "allen Sinnen erfahrbaren" (Maresch, Werber, 1999 S. ) Raum. Alles was dort aus dem Bereich der realen Welt zu finden ist, ist letztlich noch weniger unmittelbar als das in dieser selbst rezipierte. Die Erfahrungen, die das Bewusstsein in diesem Raum machen kann, sind allerdings weitgehend normierbar. Es ist quasi möglich identische Erfahrungen zu machen, was aber weniger in der Reichhaltigkeit als vielmehr in der Beschränktheit dieser Welt begründet ist. Da "Gegenständlichkeit" hier ausschließlich in Form von Symbolen existiert, welche aus der bestimmten Anordnung einer Anzahl gleicher "Bausteine", die je zwei verschiedene Zustände einnehmen können, bestehen, ist jedes Objekt exakt reproduzierbar. Das Bewusstsein, um dessen Kopplung es eigentlich geht, kann selbst allerdings nicht symbolisiert (und als Symbol in diese Welt eingebracht) werden. Hier liegt dann auch die eigentliche Problematik: solange Symbole gebraucht werden, bleiben Medien im Spiel, bleibt alle Kommunikation mittelbar, bewegt sie sich im und um das Medium. Dieses Dilemma kann eigentlich nur durch die nichtsymbolische Übertragung von Zuständen gelöst werden, was - konsequent durchgeführt - zur Aufhebung des Bewusstseins führen müsste. Wenn der Beobachter das Beobachtete vollständig aufnimmt, löst er quasi sich selbst auf. Hier einfach mit Begriffen, wie dem des "kollektiven Bewusstseins" zu operieren, scheint wenig hilfreich. Es bleibt unklar, in welchem Verhältnis zueinander die an der Vernetzung beteiligten Einzelbewusstseine stehen sollen. Die "Postlinguistische Kommunikation der Seelen ohne entfremdende Medien" (ebenda S. ) ist keine Utopie, sie ist ein bloßes Hirngespinst. Der ganze Reichtum des Bewusstseins liegt in der Materie. Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas und wird damit Wissen. Auch das Bewusstsein von Bewusstsein ist zunächst nur das Bewusstsein von Bewusstseinsäußerungen, an denen das eigentliche Objekt gleichsam gerinnt, "Sinnlichkeit (FN1.11)

    " gewinnt und sodann erst vergeistigt - begriffen - werden kann. Sowohl das Bewusstsein, als auch das Unterbewusstsein kann so praktisch nur der Form, nicht aber dem Inhalt nach gewusst werden. Man weiß dass es ist, aber nicht was es ist. Wenn die bezeichnenden Ent-Äußerungen wegfielen, man also hinter die äußere Form von Bewusstsein vordringen wollte, bliebe nur noch undefiniertes Empfinden (nicht "Fühlen", als etwas durch Sinne vermitteltes!), neurologische Reizbarkeit, für welche die Ankopplung an etwas zuvor Bestimmtes, das hernach - "an sich" - ohnehin nicht erkannt werden kann, völlig irrelevant wäre. Es wäre absolut gleichgültig wie und durch was der finale Zustand hervorgerufen würde, denn eine Ursache angeben zu können, hieße bereits ein Symbol zu deren Bezeichnung einführen zu müssen. (FN1.12) . Das Resultat liefe - bar aller Symbolik - auf einen Zustand sinnlosen Reizes oder - nach Belieben - reizender Sinnlosigkeit hinaus.

    Ein Zustand, der unwillkürlich an das von Stanislaw Lem in der Erzählung "Der bedingte Reflex" (Lem 1969 S. 47ff) beschriebene "irrsinnige Bad" denken lässt, dessen Zweck die "Desorganisierung der Hirnrindentätigkeit, verursacht durch die "Beraubung des Hirns um seine afferenten Impule", mit anderen Worten: um die Aufhebung jeglicher Sensualität ist. In Lems Erzählung wird dieser Zustand allerdings ohne Verbindung zu einem Computer erreicht. Der Proband liegt in einem schalltoten Raum, in einem so stark mit Salz angereicherten Wasserbad, dass er knapp unter der Oberfläche "schwebt. Das Wasser ist so temperiert, dass er es nicht mehr spürt, das Gesicht mit einer Wachsmaske abgedeckt, zwei dünne Metallröhren führen von den Nasenlöchern an die Wasseroberfläche und ermöglichen ihm zu atmen. Nach einer Weile verliert er jegliches Zeit- und Raumgefühl. Lem beschreibt den sich nach einer Weile einstellenden Zustand wie folgt:

    "[Er] wähnte sich mal hier mal dort, alles um ihn herum zerfloss, Richtungen, Berg, Tal, Seite ... Wo mag die Zimmerdecke sein? fragte er sich. Es gelang ihm nicht, sich zu erinnern. Er hatte keinen Orientierungssinn mehr, so wie er keinen Körper und keine Augen hatte.
    Gleich, gleich ..., dachte er. Gleich werde ich wieder Ordnung schaffen. Raum ... Dimensionen ...
    ... Bedeutunslose Begriffe ... Pirx bemühte sich um einen Zeitbegriff. "Zeit, Zeit" wiederholte er mechanisch, als kaue er ein Stück Papier. Ein Konglomerat ohne jeden Sinn..." (ebenda s. 56)


    Somit wäre der Cyberspace auch das Ende des Wissens, da die erste Bedingung des Wissens die Unterscheidung, also das symbolische Trennen, ist und da niemand sich all seines Wissens zugleich bewusst ist, sondern auch das schon gewusste Wissen erst auf bestimmte Reize oder Motive (situative varianz) hin reaktiviert (erinnert) und sodann begrifflich symbolisiert (bewusst) wird. Wirklich unmittelbare Kopplung, eigentlich ohnehin eine contradictio in adiecto (FN1.13) könnte sowohl des Reizes als auch des Motivs entbehren, denn es ginge ja nicht darum bestimmte Reize zu empfangen, sondern einen komplexen( und dabei, gleich dem eigenen, an sich undefinierten) Bewusstseinszustand in seiner Gegebenheit zu übernehmen - ohne sich dessen bewusst sein zu können.

    Hier stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich überhaupt der neurologische Zustand eines Gehirns auf ein physiologisch verschiedenes abbilden ließe. Die Ergebnisse der Klon-Forschung (Die Klone - soweit sie denn "gelungen" sind - gleichen ihren Vorbildern NICHT!) lassen ein solche Möglichkeit eher unwahrscheinlich erscheinen.

    Schließlich müsste wohl neu definiert werden, was denn der Mensch eigentlich sei: Bei der zu erwartenden Irrelevanz des Körperlichen bliebe eventuell noch die Definition über den "Geist". Die schopenhauersche Definition, dass die Vernunft, als die Fähigkeit mit abstrakten Begriffen zu operieren, das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier sei, griffe aber bei konsequent direkter Kopplung, die ohne Begriffe auskäme und wohl Fiktion bleiben. wird, auch nicht mehr. Kurz: es bliebe nur noch die nicht mehr direkt wahrnehmbare Bestimmung anhand der Gene (FN1.14).
    Zusammenfassend lässt sich also feststellen:

    Ein (alles) Wissen bergender Cyberspace kann ohne Symbole, also ohne Vermittlung, nicht gedacht werden und wäre ohnedies nur von Nutzen, wenn sein Wissen auf ein - wie auch immer geartetes - Außen verwendet und ähnlich schnell und effizient abgerufen werden könnte, wie das im (einzelnen) Gehirn gespeicherte.

    Direkte Kopplung und vollständige Virtualisierung scheint nicht nur wenig sinnvoll, sondern - schon angesichts der Kantschen Lehre der Apriorität von Zeit, Raum und Kausalität als Formen des Erkennens überhaupt, - vollkommen sinnlos (FN1.15). Ein echtes Interesse an radikaler Virtualisierung scheint deshalb de facto nicht gegeben.

    Sozial gesehen ist der Gedanke an ein "Kollektivbewusstsein" ohnehin nicht sonderlich ergiebig: Welche sozialen Handlungen oder Äußerungen wären denn von etwas zu erwarten, das eine einzigartige Einheit verkörpert, also alles ein- und nichts ausschließt?

    So ist wohl eher davon auszugehen, dass die neuen Medien, allen voran das Internet, sich, mit hoher Wahrscheinlichkeit, mehr und mehr zu einer Art Dienstleistungszentrale mit interaktivem Hypervideo nebst entsprechender Seifenopern entwickeln werden.

     
    Give yourself over to absolute pleasure.
    Swim the warm waters of sins of the flesh.
    Erotic nightmares, beyond any measure
    And sensual daydreams to treasure forever.
    Can't you just see it? Oh, oh, oh.
    Don't dream it - be it.
    The Rocky Horror Picture Show

    1.6 Exklusion durch Exklusivität?

    Nachdem im Vorangegangenen die Frage nach Sinn und Unsinn vollständiger Virtualisierung diskutiert wurde, soll nun den potentiellen Möglichkeiten der Aus- bzw. Eingrenzung durch die neuen, interaktiven Medien nachgegangen werden.
    "Rötzer beschreibt die elektronische Grenze als Mittel der Exclusion, als hermetische Grenze, die tatsächlich Räume separiert. Vivian Sobchak dagegen sieht in der »elektronischen Grenze« die technisch implementierte Unterscheidung von >Vernetzten< und elektronischen »Obdachlosen«, deren »Rechte auf Freiheit und Privilegien durch den mangelnden Zugang zu elektronischen Medien außer Kraft gesetzt sind«.[...] Schoback versteht die Grenze dagegen als soziale Barriere, welche die elektronischen Medien zwischen denen errichten werden, die Zugang haben, und denen, die nichts haben.
    Man wird die Sozial- und Raumdimensionen dieser Grenze miteinander verbinden müssen. Diejenigen, die Zugang haben werden an der Kommunikation der Weltgesellschaft teilnehmen und die medientechnisch vernetzten Inklusionsbereiche bewohnen, deren materielle Grenzen um so besser gegen potentielle Eindringlinge gesichert sein werden, je mehr Inklusion und Exklusion einander steigern und je gravierender das Gefälle zwischen den Enklaven und den Exklusionsbereichen wird. Je eher der Staat sich unter dem Druck der Globalisierung auf seine Kernaufgaben beschränken wird, desto eher wird es auch im »Wohlfahrtsstaat« Deutschland die ersten »schwarzen Löcher« geben. Fest steht: die Inkludierten werden sie nicht einmal wahrnehmen." (Werber S. 443f.)


    Ausgrenzungseffekte durch Zugang zu Medien sind, wie bereits erwähnt, durchaus nichts Neues. Es gibt aber verschiedene Faktoren, die einer solchen Exklusion Vorschub leisten.

    1. Bildung: Ein Analphabet hat keinen direkten Zugriff auf Printmedien oder andere (In-)Schriften. Diese Form der Exklusion greift nicht bei Medien, die wesentlich Bild/Ton gestützt sind. Insgesamt aber haben wir es hier mit der am einfachsten anzuwendenden und wirkungsvollsten Möglichkeit der Exklusion zu tun. Denn auch des Lesens Kundige, lassen sich durch Entwicklung und Verwendung eines gruppenspezifischen ("esoterischen") Vokabulars ausgrenzen. Diese Form der Exklusion ist "gefährdet" durch Dissidenten, die Insiderwissen unter Exkludierten verbreiten.

    2. Macht: Die Exklusion erfolgt z. B. durch Zensur oder Vertriebsbeschränkungen. Diese Form der Ausgrenzung setzt quasi uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den gesamten Medienapparat voraus und kann doch nicht zuverlässig verhindern, dass sich eine mediale Gegenwelt etabliert.

    3. Ökonomie: Die Exklusion ist bedingt durch ungleiche wirtschaftliche Verhältnisse. Die Kosten verhindern die Teilnahme. Diese Art der Exklusion kann z.B. durch Reformen, Revolutionen oder "Kriminalität" überwunden werden.

    Die eben genannten Faktoren treten in der Regel nicht rein, sondern in gegenseitiger Verschränkung auf. Eine große Zahl von Menschen lernt nicht deshalb das Lesen nicht, weil es ihr an Befähigung mangelt, sondern weil es entweder die ökonomischen Bedingungen (bzw. Arbeitsbedingungen) nicht zulassen, oder weil es bezogen auf die soziale Stellung (bzw. die zugedachte Rolle) als "nicht nötig" erscheint. Trotzdem gab es immer Versuche das Senderprivileg zu brechen (Flugblätter, Fanzines etc.).

    Das Internet unterscheidet sich, auch und gerade was das Senderprivileg angeht, hier wesentlich von den anderen technischen Kommunikationsmitteln. Prinzipiell jeder kann veröffentlichen, auch wenn er nicht über einen ständigen eigenen Zugang zum Netz verfügt. Dafür sorgen diverse Anbieter, die nicht nur kostenlosen "webspace" sondern auch gleich die Mittel zum Erstellen einer web-site nach dem Baukastenprinzip online bereitstellen, so dass jedermann von einem beliebigen Zugang aus Seiten erstellen und veröffentlichen kann. Fraglich sind allerdings Art und Umfang der öffentlichen Wirkung, der mittlerweile zahllosen privaten Publikationen. Sogenannte "Hitlisten" und Statistiken legen die Vermutung nahe, dass das Gros der Seitenaufrufe auf relativ wenige Seiten kommerzieller Anbieter entfällt, die ihre Angebote in der Regel durch Verzahnung mit anderen Medien (also Printmedien, Radio, TV) massiv bewerben können.(FN1.16) Ein Aspekt auf den wir noch einmal zurückkommen werden.

    Derzeit ist "Das Netz" ein Raum zwar nicht der unbeschränkten, jedoch der bei weitem nicht erschöpften Möglichkeiten. Auf lange Sicht ist wohl damit zu rechnen, dass durch mögliche Formen effektiver Kontrolle, die im Folgenden diskutiert werden sollen, dieser Möglichkeitsraum, in mancher Hinsicht eher verengt als erweitert wird.

    Damit kommen wir noch einmal zurück zum "Cyberspace", den man als ein System, wie es klarer begrenzt kaum vorstellbar ist bezeichnen kann. Es ist eine Tautologie, dass es sich bei diesem Raum um einen berechneten und deshalb vollständig berechenbaren (zählbaren) handelt.



    Fußnoten:

    (FN1.1)Streng genommen müssten auch die Sinne selbst, diesem Medienverbund beigezählt werden.

    (FN1.2)Das gilt natürlich nur für die "unwillkürliche" Reaktion auf bestimmte Empfindungen, nicht für infolge bestimmter Sozialisation erlernten "Haltungen". Die Grenze ist hier schwer zu bestimmen.

    (FN1.3) Faktisch gibt es eine solche Gleichzeitigkeit natürlich nicht. Jede Mitteilung bewegt sich durch Zeit und Raum und erreicht den Empfänger stets mit einer gewissen Verzögerung.. D.h.: Es gibt eigentlich nur "historische" Informationen und damit im Grunde auch nur historisches Wissen.

    (FN1.4) Man muss die Möglichkeit erkennen (kulturell) können, seinen Anspruch auf sie (politisch) durchsetzen, und ihn materiell (ökonomisch) und personell (sozial) verwirklichen können.

    (FN1.5) Man denke hier z.B. an die Ausstrahlung des Hörspiels "Krieg der Welten" durch Orson Welles, das in den dreissiger Jahren des vergangen Jht. nahezu eine Massenpanik auslöste.

    (FN1.6) Einstufige Vermittlung findet - dadurch bedingt, dass alle Eindrücke, die ein Bewusstsein empfängt, es nur durch sinnliche Vermittlung, nie also unmittelbar/unvermittelt erreichen - immer statt

    (FN1.7) Sei es die unmittelbare Verwendung des Feuers um durch Rauchzeichen, oder der Sonne um Refelktionen Information zu übertragen, sei es durch den Einsatz von zunächst tierischer oder menschlicher Arbeitskraft bei der Gewinnung von Rohstoffen, der Herstellung von Gerätschaften oder sei es der Transport der Kommunikate durch Boten in Gestalt von Tieren, Menschen oder Technischen Einrichtungen.

    (FN1.8) oder: eine Aussage

    (FN1.10) Joseph Weizenbaum wurde 1923 in Berlin geboren, emigrierte 1936 in die USA und studierte Mathematik an der Wayne Universität in Detroit.. Nach dem 2.Weltkrieg diente er als Meteorologe bei der US Air Force. In en fünfziger Jahren arbeitete er an der Wayne Universität als wissenschaftlicher Assistent und war massgeblich an der Entwicklung von Computern beteiligt. 1963 wurde er als Professor ans MIT berufen wo er von 1964 bis 1967 das Sprach-Analyse Programm ELIZA entwickelte. Seit einigen Jahren lebt Weizenbaum wieder in Berlin.

    (FN1.11) Damit ist hier gemeint: wahrnehmbar wird und dadurch zum "Begriff" werden kann.

    (FN1.12) So könnten auch Psychopharmarka Verwendung finden oder bestimmte emotionale Zustände durch postsensuale Reizung ausgelöst werden. In jedem Fall erhielte man ein Resultat ohne wissbare Ursache

    (FN1.13) Keine Kopplung ohne copula. Treffender wäre m. E. hier z. B. von "Verschmelzung" zu reden.

    (FN1.14) Randnotiz: Wenn man den Hergang von Zivilisation und/oder Kultur als fortgesetzten Versuch, sich von der Natur und ihren Notwendigkeiten zu emanzipieren begreift, dann ist eigentlich nicht einzusehen, warum man sich mit der Manipulation natürlicher Gene zufriedengeben sollte. Das vollständige Heraustreten aus den natürlichen Bestimmungen wäre erreicht wenn es je gelingen sollte, das ganze Gen nach eigenem Entwurf synthetisch zu erzeugen. Damit hätte sich die Gesellschaft, der solches gelänge, vollkommen aus der natürlichen Abhängigkeit befreit und könnte sich mittels ihrer eigenen Technik reproduzieren. Solcher Fortschritt hat "natürlich" einen Haken: Das technisch er- statt ge-zeugte Individuum hätte auf seine Beschaffenheit ebensowenig Einfluss wie zuvor. An Stelle der Natur- wäre lediglich die technisch vermittelte, durchgreifende gesellschaftliche Determination getreten, die, damit nicht genug, im weiteren Fortgang vollständig an die Technik übergeben werden könnte. (Voll automatisierte "Qualitätsproduktion")

    (FN1.15) Was allerdings nicht bedeutet, dass diese radikale Form der Virtualisierung auch zwecklos sein müsse. Ihr Zweck könnte zum Beispiel (Stichwort: "Cyberjunkie") in der Substituierung von herkömmlichen Drogen aller Art liegen.

    (FN1.16)"Vertraute Marken steuern die Internet-Nutzung. Das noch bei den Pionieren des Internets so beliebte Surfen wird heute mehr und mehr zur Ausnahme. Die meisten Nutzer Steuern gezielt ihre Lieblingsadressen an, die sie immer wieder aufsuchen. Im Schnitt werden je Internet-Sitzung sechs Seiten angesteuert. Zu diesen Favoriten zählen vor allem Angebote, die bereits aus der Offline-Welt vertraut sind." (ARD/ZDF-Online Studie 2002)
     


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